"Oh", meinte ich errötend und etwas überrascht, "Ja"

Ich streckte den Arm aus. Great Heart hatte den Kopf gesenkt, so kam ich gut an denHals des Pferdes.

"Meine Eltern lassen sich scheiden", meinte ich schließlich, "Bei mir waren sie sich nicht einig, deswegen bin ich hier." Das konnte man jetzt so auslegen, dass sie mich beide wollten. Auch wenn das längst nicht so war.

"Oh weh", meinte ich erschrocken, aber mitfühlend, "Das ist ja blöd. Gefällt es dir hier wenigstens?"

"Ja schon. Irgendwie", antwortete ich.

"Ich meine hier am Internat, ob es dir da gefällt", formulierte ich klarer.

"Ich weiß nicht, ob ich Frankreich mag", gab ich zu.

"Frankreich als Land?", fragte ich irritiert.

Ich seufzte. "Es ist einfach so, dass es fürchterlich, nie in seiner MUttersprache zu reden", erklärte ich

"Das glaube ich dir", meinte ich. Mir schauderte bei dem Gedanken, nie Französisch reden zu können. "Und du hast noch Glück", fügte ich hinzu, "Schließlich sprichst du total gut Französisch. Telefonierst du manchmal mit zuhause?"

Diese Frage wiederum lähmte mich wieder. Wenn Jacqueline wusste wer ich war und sie das alles nur erfahren wollte, um es weiter zu geben, war die Antwort sicherlich nicht gut.

"Ich nur selten", meinte ich, "Ich sagte ja von Anfang an, hier hat jeder seine Geschichte, di mehr oder weniger gut ist."

"Meine Zimmerkameradinnen Celine und Denise telefonieren mehrmals in der Woche mit ihrer Familie", meinte ich. Ich biss mir auf die Unterlippe.

"Sag ich ja", nickte ich, "Die Leute hier sind so unterschiedlich. Da ist von der armen Sau bis zum reichen Pinkel alles dabei."

Ich schaute traurig in die Ferne, bevor ich leise murmelte: "Meine Eltern haben mich nicht einmal angerufen, seit sie mich hergeschickt haben." Ich fürchtete nun das Schlimmste. Für die Zeitung von morgen würde es wohl gerade noch so reichen.

"Und die Lehrer?", fragte ich, "Also meine Eltern wollen immer wissen, ob ich gute Noten habe und telefonieren deshalb manchmal mit einem Lehrer oder eben mit mir."

Ich schüttelte den Kopf. Kein Lehrer hatte bisher davon gesprochen, dass er mit meinen Eltern telefoniert hatte. Ich konnte mir das auch nicht vorstellen. Sie waren ja froh, dass ich weg war. "Ich glaube nicht, dass sie mit den Lehrern gesprochen haben", fügte ich dem Anstand halber doch noch hinzu. Dabei kamen mir die Tränen. Großartige Schlagzeile, Apple! "Herzlose Winterbottoms telefonieren nicht mit ihrer Tochter Apple-May Melody Summer" Falls Jacqueline ihr Handy herausholen wollte, um für die Schlagzeile ein Foto zu machen, würde ich meine Erfahrungen im Kampfsport anwenden. Zumindest ein Bild, auf dem ich weinte, wollte ich verhindern.

"Dann hast du vermutlich durch den Umzug nicht wirklich was verloren", meinte ich und legte Apple sanft meine Hand auf ihren Arrm, "Denke ich bei meinen Eltern auch immer. Da spielt es keine Rolle mehr, ob die geschieden sind oder nicht."

Ihre Eltern riefen sie ja wenigstens an, dachte ich mir. Seit dem Zeitpunkt als sie mich ins Taxi gesetzt hatten, wussten sie nichts mehr von mir. Und wollten auch nichts wissen. Wenn ich auf dem Weg verloren gegangen wäre, hätte es meinen Eltern wohl nicht allzu viel ausgemacht. Meine Mutter hätte sich einzig Sorgen um ihre Trauergarderobe machen müssen. Ich schluchzte auf

"Ach Apple", seufzte ich. Diese Mitschülerin hatte es wohl um einiges schwerer als ich. Der Wallach neben uns hob seinen riesigen Kopf und drehte ihn zu uns. Sicherheitshalber ging ich einen Schritt zurück, ließ meine Hand aber auf Apples Arm liegen.

Inzwischen nahm ich das Pferd neben mir gar nicht mehr wahr. Und dass ich auf einer Weide war auch nicht. Als Jacqueline allerdings zurücktrat, riss ich den Kopf um. Bereit um in Kampfposition zu gehen, sah ich, dass sie gar nicht ihr Handy hervorzog.

"Beißt er?", fragte ich, nun ernsthaft erschrocken.

"Was?", fragte ich nun ernsthaft verwirrt.

"Beißt Great Heart?", wiederholte ich meine Frage.

"Bis jetzt noch nicht", meinte ich immer noch verwirrt.