(Stimmt, das wäre logisch, sonst müsste ja Jacqueline insgesamt 20 Minuten länger arbeiten.)

Herr Meier zuckte mit den Schultern und streichelte Julies Hals weiter, bis ihm die Stute den Kopf zuwandte. "Gut", sagte er dann ruhig zu Frau Chevalier, "Hoffentlich hat Jacqueline etwas gelernt." Jetzt kraulte Herr Meier Julies Widerrist. Ich stand auf der anderen Seite wie ein Häuflein Elend neben dem Pferd.

"Das freut mich zu hören", antwortete ich frei heraus. Mit einem Blick zu Jacqueline fügte ich hinzu: "Na, das hoffe ich aber auch. Immerhin hat sie sich die meiste Zeit über ganz gut gemacht, wenngleich sie nicht alles sofort umsetzen konnte. Da ist eben viel Übung gefragt. Reiten lernt man eben nicht von heute auf morgen." Ich fragte mich jetzt schon, was Herr Meier an der Stute fand. Immerhin gehörte sie Jacqueline, die eigentlich nach der Reitstunde voll des Lobes ihr gegenüber sein sollte. Doch die stand nur untätig da und hörte uns zu.

"Und viele Erklärungen", fügte Herr Meier ernst hinzu, wobei er die Stute noch immer kraulte. Ich wurde zwischen den beiden Lehrern nervös. Was sollte ich nun machen? Ich konnte die Stute ja kaum wegführen, wenn Herr Meier sie dauernd liebkoste wie ein kleines Kind sein Kuscheltier.

"Allerdings", stimmte ich ihm zu und musste lächeln, als ich dadurch an meine Anfangszeit zurückerinnert wurde. Ich habe bei meinem Vater ausgezeichneten Reitunterricht genossen, aber ja, was soll ich sagen, dabei habe ich ununterbrochen Kritik an den Kopf geknallt bekommen. Im Endeffekt bin ich ihm dafür dankbar, denn nur so lernt man diesen Sport. "Ich denke, du solltest Julie jetzt waschen gehen", meinte ich schließlich zu Jacqueline, nachdem ich wieder in das Hier und Jetzt zurückgekehrt war.

"Und sei pünktlich zum Mittagessen", knurrte Herr Meier und streichelte Julie noch einmal über den Hals, wobei er wieder lächelte. Danach trat er zurück, damit ich das Pferd wegführen konnte. Als wäre ich schon einmal zum Mittagessen unpünktlich gekommen! Trotzdem antwortete ich freundlich: "Ja, Herr Meier." Danach ging ich mit dem Pferd davon, das mir brav folgte.

"Bis später!", rief ich Jacqueline hinterher. Ich selbst ging dann ebenfalls zum Eingang und wartete dort auf Herrn Meier. "Also ihre Zügelhilfen sind ja mehr als ruckartig und heftig", fing ich schließlich an. "Ich mein, Julie lässt sich das ja erst mal gefallen, ein anderes Pferd hätte da schon längst seine Konsequenzen daraus gezogen. Mir kam es bei der Reitstunde so vor, als würde sie Julie dafür bestrafen wollen, was sie selbst falsch gemacht hat. Das geht nun mal gar nicht!" Die letzten Worte betonte ich besonders und unterstützte sie durch eine Handbewegung.

"Auf wiedersehen", verabschiedete ich mich noch höflich. "Auf wiedersehen", antwortete Herr Meier streng. Ich hörte im Hinausgehen noch, was Frau Chevalier sagte. Toll, die schwärzte mich auch noch beim Rektor an.

Eine Zeit lang sagte Herr Meier nichts, dann meinte er ruhig: "Jacqueline reitet nicht nur erst seit einem Jahr, sie hatte auch vorher nie etwas mit Pferden zu tun und nicht ganz das Verständnis für diese, wie mir oft auffällt. Aber natürlich haben Sie recht."

Ich war und bin froh darüber, dass mir Herr Meier im Grunde zustimmte. So kann man einfach besser arbeiten, wenn der Vorgesetzte meine Meinung teilte. "Aber im Theorieunterricht sollte sie auch schon einiges gelernt haben", konterte ich dennoch. Außerdem dachte ich, dass es doch jedem Menschen selbstverständlich sein müsste, seinem Tier nicht absichtlich weh zu tun.

"Natürlich", entgegnete Herr Meier weiter im ruhigen Tonfall, "aber ein Beispiel: Ich lehre den Schülern etwas einer Programmiersprache. In der nächsten Stunde sollen sie das anhand eines kleinen Programms umsetzen. Alle Schüler bemühen sich, schaffen es aber trotzdem nicht, weil mehr oder weniger kleine Fehler passieren. Ich gebe zu, diese Fehler können aus mehreren Gründen passieren, aber der häufigste Grund für einen Fehler solcher Art ist das fehlende Verständnis. Weil den Schülern nicht klar genug ist, dass ein Computer etwas mit einer fehlenden Klammer nicht versteht." Herr Meier sah Frau Chevalier an. Die jungen Lehrer denken immer, alles ist so einfach, dachte er bei sich.

Ganz verstand ich sein Beispiel nicht. Mit Informatik habe ich bisher sowieso noch nie viel anfangen können und ich habe gedacht, mit Lehrervorträgen hätte ich nach meinem Abitur nichts mehr zu tun. Trotzdem meinte ich weiterhin ernsthaft: "Ich weiß ja nicht, wie der Theorieunterricht bisher gelaufen ist. Aber ich bin der Meinung, dass man Theorie und Praxis einfach verknüpfen muss. Vor allem, wenn es um Pferde geht, um lebendige Wesen, hilft ein trockener Frontalunterricht wenig. Das interessiert die Schüler so doch nicht, die wollen das live erleben. Will ich ihnen also zum Beispiel etwas über Verhalten der Vierbeiner beibringen, warum sollen wir dann nicht zur Weide gehen und ich erkläre ihnen dort anhand konkreter Beispiele, dass sie Herdentiere sind und ein Alphatier als Leitpferd haben." Ich war wieder einmal voll in meinem Element.

"Gute Idee", kommentierte Herr Meier großzügig, "man sollte es in allen Fächern so machen. Die Theorie mit der Praxis verbinden meine ich."

"Der Meinung bin ich auch", entgegnete ich und war erstaunt, dass Herr Meier mir auch in diesem Punkt zustimmte. Ich hätte ihn viel mehr dahingehend eingeschätzt, dass sein Unterricht knochentrocken ist. Wenn ich da so an meine alten Lehrer aus der Gymnasienzeit zurückdenke ... Ich ging nun Richtung Stall, denn ich wollte in meinem Büro noch ein paar Notizen zu Jacquelines Springstunde machen. Erstens ist das hier so vorgeschrieben und zweitens möchte ich ja selbst wissen, welche Fortschritte sie macht und wo wir das nächste Mal anknüpfen können.

Da Herr Meier mit Frau Chevalier noch im Gespräch war, folgte er ihr. "Ich denke, das ließe sich auch in allen Fächern umsetzen", erklärte der Rektor, "Gerade in Physik finden sich da immer viele Beispiele."

Okay, jetzt fing er auch noch mit Physik an. Ich wollte echt nicht an dieses Fach denken. Davon habe ich aus Schulzeiten wirklich ein Trauma erlitten. Lieber wechselte ich das Thema und begann wieder, über die Pferde zu sprechen: "Was ich Sie schon die ganze Zeit über fragen wollte, aber sich nie die Gelegenheit ergeben hat ... Darf ich die Pferde hier auf Dreamdancer weiter ausbilden? Also zum Beispiel bei Nikita ist mir aufgefallen, dass sie eindeutig noch Potenzial nach oben hat und sicherlich gerne noch mehr gefördert werden möchte."

"Fördern Sie die Pferde so gut als möglich", sagte Herr Meier, wobei er seine Freude wohl kaum verbergen konnte. Deswegen fügte er knurrig hinzu: "Aber vergessen Sie darüber nicht Ihre andere Arbeit."

Herr Meier scheint mir ein Meister des Tonfallwechselns zu sein. Einerseits freute er sich augenscheinlich darüber, dass ich von Anfang an so motiviert dabei war, andererseits wollte er seine Freude darüber nicht wirklich zeigen. Mir missfiel sein letzter Satz ehrlich gesagt schon ein bisschen, deshalb antwortete ich etwas spitz: "Ich bin gerade dabei, in mein Büro zu gehen und mir Anmekrungen zu Jacquelines Untericht zu machen. Wenn ich dabei nicht gestört werde, bin ich bis zum Mittagessen sicherlich damit fertig." Wir waren am Stallkomplex angelangt.

"Das ist gut", antwortete Herr Meier ruhig, "Übersehen Sie die Zeit bitte nicht. Schließlich haben Sie eine Vorbildfunktion gegenüber den Schülern."

"Ich werde darauf achten", erwiderte ich nur kurz angebunden und verschwand damit im Stall. "Bis später!"

"Na dann", meinte Herr Meier, "hoffentlich werden Sie nicht gestört." Der Lehrer schritt gut gelaunt Richtung Weide. Die neue Reitlehrerin gefiel ihm. Sie schien guten Unterricht zu geben und fleißig zu sein.