Vor dem Abendessen griff ich spontan zum Mikrofon in meinem Direktionszimmer und ließ nach Nina rufen. Ich wollte mit ihr etwas klären.

"Herein", bat ich möglichst freundlich. Naja, bin eben nicht so der Mensch, der immer viel lacht und so. Wozu lachen, wenn ich eh immer gut drauf bin? Außerdem will ich mich bei meinen Schülerinnen nicht einschleimen.
Nina trat mit ihren Krücken ein. Ich bat sie Platz zu nehmen.

Nina tat mir ein bisschen leid, wie sie da so vor mir saß, mit gesenktem Blick. Ich hatte ihr wohl in letzter Zeit sehr zugesetzt.
Ich räusperte mich, da ich es nicht gewohnt war, Spontanreden zu halten. Ich plante immer alles. Um etwas Zeit zu gewinnen, fragte ich: "Wie geht es dir und deinem Fuß?"

Meine Güte, dachte ich, kann die mich nicht ansehen, wenn ich mit ihr spreche? So schlimm kann ich ihr wohl auch wieder nicht mitgespielt haben. "Ich will gleich zur Sache kommen", sagte ich. Ausnahmsweise ignorierte ich das unhöfliche Verhalten von Nina. "Also, es geht um Goldenland..." Ich machte eine bedeutungsvolle Pause. "Was hast du mir dazu zu sagen?" Ich wurde etwas lauter, damit es gleich von Anfang an besser rüberkam.

Ich wurde stutzig. Was hatte das Mädel? Schaute die rein aus Unhöflichkeit auf den Boden oder was ist los? Oder hat sie vielleicht wieder große Schmerzen? Ich kam innerlich zu dem Schluss, dass ich sie das wohl fragen müsse. "Was hast du?", fragte ich beunruhigt, "tut dir dein Bein wieder weh? Soll ich den Arzt rufen?"

"Da wird es wohl besser sein, wenn ich gleich mit dir ins Krankenhaus fahre", erklärte ich. "Komm, wir gehen hoch und du ziehst dir Schuhe und Mantel an. Ich helfe dir."

"Keine Widerrede", mahnte ich zum Aufbruch, "wenn sich da etwas fehlentwickelt... Nicht auszudenken, was da passieren könnte." Damit Nina nicht gleich weinte, klopfte ich ihr aufmunternd auf die Schulter und hob ihre Krücken auf.

"Davon wird es auch nicht besser", sagte ich zwar freundlich, aber sehr bestimmt, "aber danach kannst du schlafen, unser Gespräch kann von mir aus bis morgen warten, aber jetzt komm!" Wir waren beim Zimmer von Nina angekommen. "Brauchst du Hilfe? Denn ich muss auch noch meine Sachen anziehen und den Autoschlüssel holen."

Ich zog mir schnell was an und griff zu meinem Schlüssel. Dann ging ich nach unten zu meinem Auto. Als ich auf Nina wartete, dachte ich daran, wie die sonst so selbstbewusste Schülerin nun litt. Sie tat mir wirklich leid und ich wollte ihr nur helfen. Ich hoffte für Nina, dass die Behandlung ncht allzu schmerzhaft werden würde.

Nina kam angehumpelt. Ich hielt ihr die Beifahrertür auf und half ihr in den Wagen. Die Krücken beförderte ich auf den Rücksitz. Ich stieg selbst noch ein und startete. "Was machst du jetzt eigentlich so, in den Ferien?", fragte ich Nina, um sie vielleicht etwas abzulenken.

"Dann lerne sie doch mal kennen", schlug ich vor, "daraus ergibt sich dann vielleicht eine neue Freundschaft. Magst du Radio hören? Wenn ja, welchen Sender?"

Ich sah es Nina an, dass sie möglichst wenig mit mir zu tun haben wollte. Ich bin wohl nicht so der beliebteste Lehrer der Schule. Vielleicht hätte ich eine meiner Kolleginnen schicken sollen? Die waren alle relativ beliebt, soweit ich das weiß.
Aber Nina musste sich wohl mit mir abgeben. So schwieg ich die restliche Fahrt über, um es Nina möglichst recht zu machen.

Beim Aussteigen reichte ich Nina die Krücken und so kletterte sie aus dem Wagen.

Im Krankenhaus angekommen, meldete ich Nina an und wir durften uns ins Warezimmer setzen. Au backe, da waren ja eine Million Menschen. Das heißt im Klartext, mindestens eine Stunde Wartezeit. "Ich rufe mal im Internat an, dass wir nicht zum Essen kommen", erklärte ich Nina und tat das auch sogleich. Alexandra hob ab. Ich erklärte ihr die Lage und sie wünschte Nina alles Gute und möglichst wenig Schmerzen. "Frau Ring wünscht dir alles Gute und das du möglichst wenig Schmerzen bei der Behandlung hast", erzählte ich Nina.

"Ich gehe mir in die Kantine was zu essen holen", fing ich nach einer Weile an, "soll ich dir was zu essen oder trinken mitbringen? Ich lade dich ein, wenn du magst."
Oh Gott, ich hoffte, dass war jetzt nicht allzu freundlich...