Ich war von Weihnachten bis heute zuhause gewesen. Heute früh wurde ich wieder in ein Taxi Richtung Flughafen gesetzt und seit dem frühen Nachmittag war ich hier. Der Abschied war kühler als sonst ausgefallen, denn ich hatte es wieder in die Zeitung geschafft. Natürlich nicht positiv. Nein, dieses Mal hatte ich wirklich Mist gebaut. Ausnahmsweise hatte meine Mutter sich den Tag über tatsächlich oft gemeldet, hauptsächlich um mir zu sagen, wie unfassbar dumm ich doch war. Ich hatte mich bereits den ganzen Tag zurückgezogen, damit mich niemand beim Weinen sah. Schließlich hatte ich mich sogar vom Abendessen abgemeldet, weil ich mit niemandem sprechen wollte. Jetzt nach dem Essen kamen meine Zimmergenossinnen natürlich in unser Zimmer, weshalb ich mir Jacke und Schuhe anzog, um mich ein wenig spazieren zu gehen. Eilig lief ich durchs Haus und auf den Hof hinaus.

Ich hatte Apple-May heute den ganzen Tag lange nicht gesehen. Gut, das wäre an sich nicht verwunderlich gewesen, da ich mit Sam selbst erst zu Mittag aufs Internat kam. Wir hatten die Feiertage bei meinen Eltern verbracht und heute wollten wir beide trainieren. Nach dem Mittagessen wollte ich Apple-May begrüßen, sie war aber schon verschwunden. Ich wollte mit ihr auf jeden Fall nach dem Abendessen reden, zu Mittag war ich nämlich ziemlich umringt von meinen Mitschülern. Es waren im Moment viele Schüler am Internat, weil ja alle fürs Turnier üben wollten. Diesmal freute ich mich nicht nur auf die Übernachtung auf Sam im Zelt, sondern auch ein wenig auf die Prüfungen, die nicht die klassischen waren. Außerdem fand ich es toll, dass sich auch Apple zum Sackhüpfen durchgerungen hatte. Ich selbst hatte auch überlegt, dort mitzumachen, aber irgendwie erschien mir diese Disziplin dann doch zu schwierig. Ich merkte beim Training auch, wie sehr sich Julie über die unterschiedlichen Tätigkeiten freute. Am Nachmittag war ich mit Julie im Gelände, um mit ihr unterschiedliche Übungen für das Turnier durchzugehen. Begleitet wurde ich dabei von den anderen Trailteilnehmern. Wir bildeten eine nette Sechsergruppe und übten nicht nur, sondern lachten viel. Darüber hatte ich Apple zwischenzeitlich vergessen, aber es fiel mir sofort auf, dass Apple beim Abendbrot fehlte. Nach dem Abendessen teilte ich Sam meine Beobachtung mit. Eigentlich wollte ich mit ihm spazieren gehen, aber das verschob ich auf unbestimmte Zeit. "Vielleicht geht es ihr nicht gut, ich schau mal zu ihr hoch", erklärte ich Sam, "Ich melde mich, sobald alles geklärt ist." Mit einem Kuss und "Ich hab dich lieb" verabschiedete ich mich von Sam. Apple war nicht in ihrem Zimmer. Von Celine erfuhr ich, dass ihre Zimmerkollegin gerade gegangen sei. Im Gemeinschaftsraum war sie auch nicht. Mein nächster Weg führte mich in den Stall. Jetzt machte ich mir doch Sorgen. Warum war sie nicht beim Abendessen gewesen? Aber die Lehrer hatten sich wohl nicht darüber gewundert, also war ihr hoffentlich nichts passiert. Ich trat aus dem Schulgebäude und schlug den Weg zum Stall ein, als ich Apple erblickte. "Hi Apple!", rief ich erfreut, aber gleichzeitig ein wenig besorgt, "Schön, dich wieder zu sehen." Ich rannte auf meine Freundin zu.

Eigentlich hatte ich auf Ruhe gehofft, als ich meinen Namen hörte. Erschrocken sah ich auf und erblickte Jacqueline. Schnell versuchte ich mir die Tränen aus dem Gesicht zu wischen, die inzwischen wieder dort aufgetaucht waren. "Hallo Jacqueline", sagte ich sehr leise. Die Dunkelheit konnte hoffentlich meine verheulten Augen verstecken, weshalb ich mich auf so drehte, dass das Licht mir nicht ins Gesicht schien.

Ich umarmte Apple. "Es ist so schön, dich wieder zu sehen", wiederholte ich, "Wo warst du heute Abend? Ausgeflogen?"

Ich zögerte, was meine Antwort anging. "Ich hatte keinen Hunger nach den ganzen Festtagen und habe mich deswegen vom Essen abgemeldet", brachte ich schließlich hervor und hoffte, dass ich nicht allzu schlimm klang. Sehnsüchtig schaute ich zum Spazierweg.

"Du hast heute Abend gar nichts gegessen?", wollte ich wissen, als ich mich von Apple wieder löste. Ich folgte ihrem Blick.

"Ja", bestätigte ich. Ich biss mir auf die Unterlippe

"Und du hast jetzt keinen Hunger?", hakte ich unsicher nach.

"Nein, hab ich nicht. Gab es denn etwas Gutes?", fragte ich. Ich versuchte zu lächeln, damit Jacqueline nicht dachte, dass ich sie nicht mehr mochte.

"Es gibt doch immer was Gutes", lachte ich, "Es gab Fisch und leckeren Nachtisch. Obwohl, du hast recht: Nach den Feiertagen hat man dann echt mal wieder genug vom süßen Zeug. Hast du heute noch etwas vor?"

"Ich wollte spazieren gehen", antwortete ich. Meine Hand hielt wieder einmal den Saum der Jacke fest.

"Darf ich mitkommen?", fragte ich unsicher, "oder willst du alleine sein?"

Nun wurde ich auch wieder sehr unsicher. Ich wollte Jacqueline nicht abweisen, schließlich mochte ich das Mädchen, aber andererseits hatte ich Angst, dass sie mich weinen sah und ich mich erklären musste. Ich wusste nicht, ob ich ihr soweit vertrauen konnte. "Ich weiß nicht, ob ich sehr gesprächig bin", meinte ich dann, um Jacqueline weder abzuweisen noch zu versprechen, dass der Spaziergang interessant wurde.

"Ist das ein Nein?", wollte ich wissen.

Mir war unwohl. Ich kaute auf meiner Lippe herum, wackelte von einem Fuß auf den anderen und blickte Jacqueline nun direkt und nachdenklich an. Dabei fiel das Licht in mein Gesicht.

"Ach Apple", seufzte ich mitfühlend, "Ich will mich doch gar nicht aufdrängen, ich kann auch schweigend spazieren gehen. Aber falls du mir erzählen willst, warum du geweint hast, kannst du das gerne machen. Ich werde auf jeden Fall versuchen, dir zu helfen."

Verschiedene Reaktionen durchliefen mich nun: Schreck, weil Jacqueline es gemerkt hatte, Angst weil ich nicht wusste, was ich sagen sollte und Wut auf mich selbst. Wieder einmal hatte ich es nicht geschafft meine Emotionen im Griff zu halten und zu verbergen. Wenn ich doch nur ein bisschen wie meine Geschwister wäre. "Man kann mir nicht helfen", murmelte ich leise.

"Komm, lass uns ein bisschen in den Wald raus gehen, bevor wir hier Wurzeln schlagen", bot ich Apple an.

Ich nickte und lief los.

"Ich war über die Feiertage mit Sam bei meinen Eltern zuhause", erzählte ich.

"War es schön?", fragte ich nach.

"Mit Sam?", wollte ich wissen, "Ja, wir haben viel unternommen. Zuhause war es etwas schwierig, aber nachdem wir während den Tagen kaum bei meinen Eltern waren, ging es eigentlich."

"Mögen deine Eltern ihn nicht?", fragte ich nach einer kurzen Pause zum Nachdenken nach.

"Naja", meinte ich unbestimmt, "Sie finden es zu früh, dass ich mit ihm eine Beziehung führe."

Ich nickte: "Ich verstehe"