Heute wollte ich mit Jacqueline ausreiten gehen. Ich wollte so schnell wie möglich die Gegend hier kennen lernen. Da die Leute aus meiner Klasse natürlich auch nicht wussten, wo es die besten Ausreitwege gab, hatte ich Jacqueline gefragt, die ich schon am ersten Tag kennen lernte. Wir hatten unsere Pflegepferde auf verschiedenen Koppeln stehen, deshalb wollten wir uns am Putzplatz treffen. Ich lief also zu den Wallachen und schlüpfte auf die Weide. Suchend sah ich mich nach Rocki um, natürlich fand ich ihn inmitten anderer Pferde wieder. "Rocki!", rief ich ihn leise, während ich auf die Gruppe zuging. Der Braune schien kein Interesse an mir zu haben, erst als ich direkt vor ihm stand, hob er seinen Kopf. "Wir gehen ausreiten", erzählte ich ihm, während ich ihn aufhalfterte und zum Putzplatz brachte. Er wieherte seinen Pferdekumpels sehnsüchtig zu, trotzdem folgte er mir einigermaßen friedlich. Am Putzplatz band ich ihn an und wartete auf Jacqueline.

Heute sollte es mein erster Ausritt ohne erwachsene Begleitung werden, was ich Michelle aber nicht verraten hatte. Ich holte Julie von der Weide und band sie etwas entfernt von dem mir fremden Pferd an. Wer weiß, was dieses vorhatte. "Hi", grüßte ich Michelle, dann ging ich in die Sattelkammer, um das Putzzeug zu holen.

"Hallo! Freut mich, dass es mit dem Ausritt klappt", grüßte ich freundlich, während Rocki Julie zuwieherte. Endlich hatte er pferdige Gesellschaft. Nun konnte ich den Wallach guten Gewissens alleine lassen, in Gesellschaft würde er nichts anstellen. Also folgte ich Jacqueline in die Sattelkammer, wo ich das Putzzeug nahm. "Wo hast du deinen Freund gelassen?"

Hoffentlich bedeutet das Wiehern nichts Schlimmes, dachte ich noch und beeilte mich mit dem Holen der Putzsachen. "Der ist bei seiner Bandprobe", gab ich bereitwillig und lächelnd Auskunft.

"Du musst dich nicht extra beeilen, wir haben doch viel Zeit", meinte ich, da es Jacqueline sehr eilig zu haben schien. Wir kehrten zurück zum Putzplatz, wo unsere beiden Pferde friedlich warteten. "Dein Freund spielt in einer Band? Oder singt er? Ist ja cool!" Ich kramte aus der Putzbox den Striegel hervor und begann, Rockis Fell zu putzen.

Michelle hatte Nerven! Glücklicherweise standen die Pferde aber tatsächlich brav am Putzplatz. "Er spielt Gitarre und singt", lächelte ich, während ich Julie putzte.

"Schön. Ich singe nämlich auch sehr gerne und ganz gut, finde ich. Und du?", antwortete ich. Rocki hatte sich nicht besonders schmutzig gemacht, weshalb ich schnell voran kam.

"Ich habe mit Musik nicht so viel am Hut, eher mit Sport", erklärte ich, "Aber ich höre Sam gerne zu."

"Ohne Musik geht bei mir gar nichts. Was spielt die Band so?", meinte ich, während ich fleißig Rockis Fell bearbeitete. "Außer Reiten mache ich sportlich gesehen nicht so viel. Früher habe ich mal im Verein Volleyball gespielt, aber irgendwann waren mir die Pferde dann doch lieber. Welchen Sport treibst du?"

"Rock und Punkrock", erklärte ich, "Ich mache so ziemlich alles. Am liebsten gehe ich inlineskaten oder Eislaufen, aber ich mag Radfahren und joggen auch ganz gerne. Machst du hier außer Reiten noch andere Sportarten?" Auch Julie war nicht sehr schmutzig, weswegen ich schon zur Kardätsche griff.

"Treten die auch irgendwo auf oder so? Ich würde mir das gerne mal anhören, die Musikrichtung klingt auf jeden Fall nach meinem Geschmack", redete ich weiter und griff nun ebenfalls zur Kardätsche. Rocki prustete zufrieden und verjagte mit seinem Schweif ein paar lästige Insekten. "Welchen Sport ich hier noch mache? Bis jetzt bin ich eigentlich noch zu nichts gekommen. Vielleicht kann man ja mal schwimmen gehen, wenn die Tage noch warm bleiben ..." Ich dachte an mein Zuhause. Zum Strand waren es dort nur etwa zehn Minuten zu Fuß gewesen. Im Sommer hatten wir dort immer jede Menge Spaß gehabt.

"Manchmal, aber nur kleinere", lächelte ich, "Schwimmen geht hier relativ lange. Auf Korsika ist es ja relativ warm."

"Sagst du mir Bescheid, wenn es wieder einmal so weit ist?", fragte ich nach und hielt kurz inne. Dann lächelte ich. "Über Korsika musst du mir nichts erzählen. Ich bin hier aufgewachsen. Woher kommst du?"

"Klar", bot ich lächelnd an, "Ah, dann kennst du dich hier ja aus. Ich komme aus Nancy in der Nähe von Straßburg."

"Das ist ja eine ganz andere Ecke, da siehst du deine Familie nicht so oft, oder?", sagte ich. "Also hier direkt kenne ich mich nicht aus, obwohl ich schon ein paar Mal in Porto war. Aber eigentlich wohne ich auf der anderen Seite der Insel, in der Hauptstadt."

"In den Ferien", erklärte ich und ging nun zum Hufeauskratzen über.

"Dann vermisst du sie bestimmt manchmal", meinte ich und schnappte mir ebenfalls den Hufkratzer. "Ich habe meinem Papa eigentlich versprochen, dass ich dieses Wochenende nach Hause komme, aber ausreiten finde ich dann doch besser. Zum Glück versteht er das, aber nächste Woche muss ich es unbedingt nachholen." Ich grinste.

"Da hast du aber eine weite Reise, oder ist er in Porto?", erkundigte ich mich, "Ja, manchmal vermisse ich sie schon." Das stimmte. Ich vermisste Eltern, die solche waren.

(Deinen letzten Satz verstehe ich gerade überhaupt nicht?)

"Ich weiß es noch nicht, mein Papa ist ja viel unterwegs durch seine ganzen Hotels Eins ist auch in Porto, aber ob er da gerade nächste Woche ist, weiß ich jetzt nicht. Ansonsten fahre ich einfach mit dem Zug, zwischen Porto und Ajaccio gibt es eine gute Verbindung", erzählte ich. Nebenbei musste ich Rocki zweimal auffordern, sein linkes Hinterbein zu heben, um mich den Huf auskratzen zu lassen. Doch das war dann bald auch erledigt, sodass ich mich ans Langhaar machen konnte.

(Na, sie hätte gerne Eltern, die sich um sie kümmern. ;) )

"Achso", meinte ich. Das Thema Eltern war mir etwas unangenehm. "Und wie erging es dir in deiner ersten Schulwoche hier?", wollte ich deshalb wissen.

"Die war ganz schön anstrengend", meinte ich leicht seufzend. "Also Reiten auf dem Stundenplan zu haben ist ja schön und gut, aber einige andere Fächer müssten wirklich nicht sein. Am schlimmsten sind ja Mathe und Physik, finde ich. In Englisch bin ich auch total schlecht, aber da habe ich zum Glück Apple. Was magst du am liebsten?"

"Ich mag Physik am liebsten", erwiderte ich lächelnd, "Also, in Physik kann ich dir höchstwahrscheinlich helfen. Von den Interessen her liegt mir Englisch und Biologie, aber mit Herrn Greifer komme ich jetzt nicht so gut klar." Ich wählte eine vorsichtige Formulierung, schließlich kannte ich Michelle noch nicht und wusste nicht, wie sie drauf war. "Früher dachte ich immer, dass ich mit Physik nichts am Hut hätte, aber seit der neunten, also seit ich hier im Internat bin, hat sich das geändert", fuhr ich fort, "Herr Meier kann wirklich gut erklären und bringt immer so tolle Geschichten und Beispiele ein." Ich verlas noch kurz Mähne und Schweif.

"Herr Greifer ist schon ein bisschen streng, ja. Aber Herr Meier auch!" Ich konnte nicht wirklich verstehen, warum Jacqueline so vom Rektor schwärmte. "Er hat absolut kein Verständnis dafür, dass mir Physik einfach nicht liegt. Ich meine, jeder hat andere Interessen und nicht alle können seine Fächer lieben." Vorsichtig löste ich ein paar Knötchen aus Rockis Schweif.

"Die Strenge macht mir nichts aus", meinte ich, "Herr Meier hat kein Verständnis dafür? Das wundert mich, denn eigentlich beantwortet er so gut wie jede Frage." Ich war fertig und verräumte das Putzzeug. Ich kehrte mit Sattel und Zaumzeug zurück.

"Mag sein, dass er jede Frage beantwortet. Aber wenn mich Physik eben nun mal nicht interessiert, habe ich auch keine Fragen dazu", antwortete ich schulterzuckend. Ich warf den Mähnenkamm in die Putzbox und trug diese in die Sattelkammer. Dort schnappte ich mir Sattel- und Zaumzeug. "Ich glaube", fing ich von neuem an, während ich zurückging, "Herr Meier kommt nicht damit klar, dass ich seine völlig veralteten und unsinnigen Regeln infrage stelle."