"Na ja." Mir war es mal wieder peinlich. "Man kann nicht alle Fächer mögen." Jetzt schreit sie sicher wieder, dachte ich mir.

"Also nein, aber das dachte ich mir sowieso schon die ganze Zeit", antwortete ich und versuchte, dabei ruhig zu bleiben. Es brachte keinem was, wenn ich jetzt ausflippte. Immerhin wusste ich jetzt endlich den Grund für Jacquelines Abneigung zum Reiten oder ich glaubte, ihn zu kennen. "Von wegen man kann nicht alle Fächer mögen. Französisch und Mathematik wird natürlich an jeder Schule unterrichtet und man muss da durch. Aber es gibt nich in jeder Schule Reitunterricht. Ich glaube, deine Eltern haben da irgendwas nicht ganz verstanden. Verantwortung kann man auch anders lernen, aber nun ja, ich werde mich nicht in Erziehungsfragen anderer einmischen. Und schon gar nicht ungefragt. Man hätte dir aber mal lieber selbst die Verantworutng lassen sollen zu entscheiden, in welche Schule du gehen willst."

Frau Chevalier hatte es zwar hart auf den Punkt gebracht, aber sie hatte wahrscheinlich recht. Es fühlte sich gut an, wenn man glaubte, verstanden zu werden. Oder sagte sie das nur, weil sie mich nicht mochte? Den Gedanken schob ich schnell zur Seite. "Ich finde das Reiten einfach schwierig", versuchte ich mich zu erklären, "wie Mathematik, das liegt mir auch nicht so."

"Das kannst du doch nicht miteinander vergleichen. Übrigens glaube ich nicht, dass Reiten schwierig für dich ist. Ich sagte schon, du sollst mit deinen Ausflüchten aufhören. Das bringt dich auch nicht weiter. Wenn ich für etwas keine Motivation aufbringen kann, fällt es mir auch schwerer. Außerdem habe ich dir schon oft genug gesagt, dass du selbstbewusst mit den Pferden umgehen und ihnen zeigen musst, dass du weißt, was du tust", entgegnete ich. "Wenn du das nicht willst oder kannst, bist du auf einem Reitinternat falsch." Es war hart formuliert, aber ich hatte ihr Gerede um den heißen Brei schon etwas satt. "Soll ich mal mit deinen Eltern darüber reden?", fragte ich sie noch.

"Es fällt mir wirklich schwer", versuchte ich mich zu verteidigen, "mit meinen Eltern? Worüber?"

"Hör einfach auf damit. Wenn du dir das ständig einredest, kann's ja nicht klappen", fuhr ich sie etwas scharf an, sagte dann aber ruhiger: "Worüber wir gerade gesprochen haben."

Ich traute mich nicht, noch einmal etwas zu erwidern, sondern bat Frau Chevalier stattdessen: "Bitte nicht. Dann nehmen sie mich vielleicht von der Schule und schicken mich auf ein anderes Internat." Allein bei der Vorstellung wurde ich schon verzweifelt. Hoffentlich sagte Frau Chevalier wirklich nichts zu meinen Eltern.

"Dort müsstest du dann wenigstens nicht reiten", kommentierte ich knapp.

"Bitte, Frau Chevalier, bitte sagen Sie nichts", flehte ich verzweifelt und fügte flüsternd hinzu: "Bitte schmeißen Sie mich nicht raus." Doch die böse Hexe wie im Märchen? Ich zitterte ängstlich.

"Das habe ich auch nicht vor, wenn du das nicht willst. Und das Rausschmeißen liegt sowieso nicht in meiner Macht", entgegnete ich erstaunt. Streng fügte ich jedoch hinzu: "Ich möchte dich nur bitten, in Zukunft besser beim Reiten aufzupassen, wie du mit Julie umgehst. Ihr zuliebe, nicht wegen mir oder ..." Ich zögerte kurz, doch dann sprach ich es aus: "Oder um jemanden damit zu beeindrucken."

"Danke", meinte ich ehrlich, "und klar werde ich mich bemühen, dem Pferd zuliebe." Ich fand auch, dass sie recht hatte.

Ich hoffte einfach mal, dass es nicht wieder nur leere Versprechungen waren. "Julie kann nämlich auch nichts dafür, dass du reiten lernen sollst und du es nicht sonderlich gerne magst", meinte ich ernsthaft. "Deswegen will sie trotzdem ordentlich beschäftigt werden und vernünftig geritten werden. Sie ist zwar sehr geduldig, aber auch wenn sie viel akzeptiert, solltest du sie fein reiten. Hast du eigentlich jemals verstanden, warum ich dir damals Oda angeboten habe?"

"Das stimmt", meinte ich nachdenklich. Und wieder einmal wurde mir klar, dass die Reitlehrerin recht hatte. "Oda?", fragte ich erstaunt über den Themawechsel, "ich weiß nicht..." Ich dachte nach. Warum, darüber hatte ich mir zuvor eigentlich keine Gedanken gemacht. "Weil sie sonst keiner reitet?", riet ich deshalb, "und sie nichts zu tun hat."

"Nein, das war es nicht", antwortete ich und lachte kurz auf. Ich überlegte im Stillen, ob ich Jacuqeline damals gesagt hatte, warum ich ihr Oda zum Reiten gegeben hatte. Wahrscheinlich schon, aber das Mädchen hatte zu diesem Zeitpunkt ja kaum Interesse gezeigt. Ich versuchte es nun also noch einmal, es ihr zu erklären, da ich glaubte, dass sie es diesmal vielleicht verstehen würde. "Es sollte dich weiterbringen. Jeder Reiter, vor allem Anfänger, sollten verschiedene Pferde unterm Hintern bekommen, damit sie sich auf unterschiedliche Situationen einstellen können. Manche Tiere sind eben temperamentvoller, andere ruhiger, andere machen schnell das, was man von ihnen verlangt, usw. Jedes Pferd hat seinen eigenen Charakter. Julie ist ein super Anfängerpferd und würde im Normalfall niemals durchgehen. Außerdem versucht sie alle Hilfen bestmöglich umzusetzen und das zu machen, was der Reiter von ihr verlangt. Auch wenn die Zügelführung nicht ganz korrekt ist. Das ist im Grunde okay, denn als Einsteiger hat man genug damit zu tun, sich auf andere Dinge, zum Beispiel den Sitz, zu konzentrieren. Doch irgendwann wird es Zeit für neue Herausforderungen. Dazu hat es mich damals sehr gestört, wie hart du mit Julie in unseren Einzelstunden umgesprungen bist. Deshalb wollte ich es mit dir und Oda versuchen. Die ist genauso lieb wie Julie, aber führt nur Befehle aus, wenn sie korrekt und vor allem feinfühlig gegeben werden. Außerdem ist sie sehr sensibel und weiß genau, wenn ein Reiter unsicher ist und reagiert dementsprechend. Tja, du solltest dabei also nur korrekte Hilfengebung lernen und ich wollte dir zeigen, wie unterschiedliche die Vierbeiner sein können."

Unterschiedlich, das hatte ich gemerkt. Mir schauderte heute noch, wenn ich daran dachte, wie ich plötzlich auf der Erde lag. "Okay", nickte ich nachdenklich.

"Es hat damals ja auch nicht so schlecht geklappt", furh ich fort. "Allerdings gehst du immer viel zu unsicher an die Sache ran und bestrafst dein Pferd für etwas, was du selbst verbockt hast. Wenn du dem Pferd falsche Hilfen gibst und es deshalb nicht reagiert, hilft es auch nichts, noch stärker an den Zügeln zu zerren. Ganz im Gegenteil. Deshalb wollte dich Oda ja auch erstmal loswerden. Sie wollte dir damit nur sagen, dass sie das nicht mit sich machen lässt. Julie macht das nicht. Sie gibt alles, um es dir recht zu machen. Da müsstest du dir wohl mehr einfallen lassen, um von ihr runterzufallen. Übrigens: Ich bin Julie schon ein paar Mal geritten und sie hat es mir nicht leicht gemacht. Dich scheint sie trotz allem richtig zu mögen, denn mich hat sie erstmal immer nur herausgefordert."

Daran, ein Pferd zu bestrafen, hatte ich selbst noch nie bewusst gedacht. Aber jetzt wurde es interessant. "Wie meinen Sie das?", fragte ich schüchtern, aber trotzdem interessiert.

"Was denn? Dass Julie dich mag?", fragte ich nach, da ich nicht ganz nachvollziehen konnte, was das Mädchen meinte.

"Das auch", entgegnete ich, "aber in wie fern hat sie Sie herausgefordert."

"Ach, Julie kann ganz schön stur sein", berichtete ich ihr lachend. "Wenn die etwas nicht will, dann hat man keine Chance. In meinem Fall wollte sie einfach nicht ordentlich arbeiten. Sie bummelte einfach nur dahin und nahm die Zügel nicht richtig an. Ich hatte wirklich einiges zu tun, um sie zu überzeugen, dass Dressur nicht langweilig ist. Die Stute braucht eben auch viel Abwechslung. Deshalb habe ich dir das damals auch mit dem Longierenlernen angeboten. Es gibt einfach viel mehr Möglichkeiten mit dem Pferd, als Dressur, Springen und Ausreiten bzw. Spazierengehen. Bodenarbeit wäre ja vielleicht was für dich, wenn du nicht gerne reitest."

Achja, dass mit dem Longieren habe ich ganz vergessen. Ich verstand den Sinn dahinter allerdings nicht. Was sollte es bringen, wenn ein Pferd an einer Leine im Kreis herumrennt? Das kann es notfalls ohne auch, wenn es wert drauf legte. Und Bodenarbeit? Klar hatte ich davon schon gehört, aber wie genau das ging, wusste ich auch nicht. Deshalb erkundigte ich mich bei Frau Chevalier: "Bodenarbeit? Wie geht das genau?" Ich hoffte, dass mich Frau Chevalier nicht gleich anschreit, wenn ich was frage.

(Ich erinnere mich, dass Anna ihr schon mal einen Vortrag übers Longieren gehalten hat...)

"Bodenarbeit ist nicht gleich Bodenarbeit", holte ich mal wieder zu einem Vortrag aus. "Bodenarbeit ist - wie der Name schon sagt - alles, was du vom Boden aus machen kannst. Das fängt schon mit Führtraining an. Probier's doch einfach mal mit Julie aus: Bleib von der Weide zum Putzplatz zwischendurch einfach mal stehen und schau, ob Julie dir gehorcht. Oder auch beim Spazierengehen. Gehe dort Schritt, wo ihr normalerweise trabt, halte zwischendurch an, lasse sie ein paar Schritte rückwärts gehen, usw. Du kannst auch viel mit der Stimme arbeiten. Ich denke zwar, dass Julie Stimmkommandos kennt, aber probier#s einafch mal aus. So etwas wie Halt, Schritt, Trab, usw. Natürlich gibt's dann auch andere Möglichkeiten: Scheutraining, Geschicklichkeitsparcours, Longe, Doppellonge, Zirkuslektionen, Stangenarbeit und vieles andere mehr. Dabei sind deiner Fantasie keine Grenzen gesetzt und deine Kreativität wird gefragt. Vor allem aber würde es das Vertrauen zwischen euch beiden um einiges stärken."

(Stimmt, bei ihrer ersten gemeinsamen Stunde. :) )

Das schüchterte mich doch etwas ein. "Da kann man doch sicher viel falsch machen", meinte ich vorsichtig.

Ich hatte diese Antwort schon fast erwartet. Jacqueline traute sich einfach nichts zu, das erlebe ich immer wieder. "Wenn du etwas Führtraining machst, so wie ich dir das gerade eben geschildert habe, kannst du wohl kaum was falsch machen", meinte ich. "Und sonst ... Also wenn du willst, können wir auch gerne mal was gemeinsam machen." Ich kam mir zwar mittlerweile schon ziemlich doof vor, dass ich ihr immer wieder meine Hilfe anbot, wo sie sie doch sowieso nicht wollte, aber gut. Vielleicht wird sie es irgendwann verstehen, dass ich es nur gut meine.

"Ja", meinte ich schüchtern, "wir gehen verhältnismäßig oft spazieren, da ließe sich das schon einbauen. Und gemeinsam. Also, ich fände, einen Versuch wäre es sicher wert, aber ich will Sie nicht unnötig stressen."