"Wollen wir hier am Strand eine Pause machen?", erkundigte ich mich.

Ich hielt Bersi ebenfalls an. Wie immer beim Ausreiten hatte ich unter dem Zaumzeug ein normales Stallhalfter verschnallt. Also zäumte und sattelte ich Bersi ab und hakte einen Führstrick ein. Ich kraulte Bersi, dann setzte ich mich neben Alexandra auf den Boden. Der Strick hing locker durch. Bersi kam trotzdem mit ihrem Kopf zu mir runter und ich streichelte sie liebevoll am Kopf. Ich lächelte selig, blickte dann aber zu Alexandra. Sie schien in Gedanken, dabei wollte ich sie nicht stören, schließlich dachte ich selbst gerne über etwas nach.

"Mein größter Wunsch?", fragte ich meine Kollegin, indem ich sie ansah. Ich war erstaunt, so tiefgründige Fragen kannte ich nicht. "Ich hab eigentlich keinen so richtigen größten Wunsch", meinte ich wieder ernst, "oder doch: Mein größter Wunsch ist es, möglichst lange für das Internat und die Pferde da sein zu können, auch wenn ich schon 60 bin. Und wie sieht es bei dir aus?" Wenn ich schon mal dabei war, fragte ich eben.

Gerade wollte ich Alexandra fragen, woran sie dass denn festmache, dass ich noch für Dreamdancer da sein kann und vor allem lange, da fing sie an zu weinen. Solch eine Situation überfordert mich immer, schon, wegen meiner Vorgeschichte. Die Vorwürfe damals waren einfach heftig gewesen. Alexandra war zwar meine Kollegin, aber wenn sie ebenfalls so einen Vorwurf in die Welt setzen würde, konnte ich meinen Job und wahrscheinlich auch meine Freiheit an den Nagel hängen. Also war so eine Situation immer ein Risiko für mich. Ich räusperte mich und fragte betont ruhig: "Brauchst du ein Taschentuch?" Bersi blies mir in diesem Moment sanft von oben ins Ohr, was mich zusätzlich etwas beruhigte. Ich streichelte ihr mit einer Hand über die weiche Pferdenase, sah aber weiterhin zu Alexandra.

Aufmerksam war Alexandra, musste ich mir eingestehen. "Nicht direkt", brummte ich zurückweisend, "aber woran machst du es fest, dass ich noch lange fürs Internat da sein kann?" Gute Methode um abzulenken, hoffte ich.

Mir wurde richtig warm ums Herz. Alexandra hatte recht. Ein Danke höre ich eigentlich nie. Es ist mir aber auch nicht abgegangen. "Ich bin in einem Alter, da kann man aber immer leicht krank werden", warf ich ernst ein.

"Darüber soll man sowieso nicht nachdenken", meinte ich, "schließlich kann einem immer was passieren, wie du sagst."

Ich erschrak etwas. Jetzt kam mir diese Kollegin auch schon körperlich nah. Oder war ich überempfindlich? Ich dachte kurz an Frieda. Sie mied den Körperkontakt zwar auch nicht immer, aber doch öfters. Trotzdem zog ich meine Hand nicht weg, meinte aber: "Wieso mürrisch? Die einen sind halt so, die anderen so. Ich finde übrigens, ob Mann oder Frau, ich habe in beide Geschlechter gleiches Vertrauen."

Ich war ein wenig beruhigt, als Alexandra ihre Hand wieder weg nahm. Also sucht sie den Körperkontakt doch nicht ganz bewusst. "Was heißt schon passiert?", fragte ich ruhig zurück, "ich bin alt, mir ist schon einiges passiert." Immer diese jungen Kollegen.

"Das bildest du dir wahrscheinlich nur ein, dass ich anders bin", meinte ich ehrlich. Wie sollte ich die zweite Hälfte des Gesagten verstehen? Wie meinte Alexandra das jetzt? "Als Kollegin kann ich dich natürlich gut leiden", antwortete ich also ruhig und hoffentlich zufriedenstellend.

Ich war verwirrt. Was war los mit Alexandra? "Spät?", fragte ich und blickte auf meine Uhr, "Es ist noch nicht mal halb vier." Aber Alexandra war schon aufgestanden, also folgte ich ihr und sattelte ebenfalls. Bevor ich allerdings Bersi aufzäumte, stellte ich mich vor Alexandra hin, sah sie an und fragte freundlich: "Was ist los? Kann ich dir helfen? Brauchst du noch ein Taschentuch?" Mir tat die Kollegin leid. Ich achtete auf einen gewissen Abstand, um ihr ja nicht zu nahe zu treten.

Wieder einmal zuckte ich zusammen. Diese Frau machte mich wahnsinnig. "Freundschaften halten durchschnittlich länger als Beziehungen", erklärte ich sachlich, obwohl ich mit Alexandra fühlen konnte. Ich glaubte zumindest, es zu können. Ich ging sogar das Risiko ein, ihr eine Hand auf die Schulter zu legen, als Zeichen der Freundschaft. Ob sie das tröstete oder zumindest zu schätzen wusste? Ich versuchte meine Kollegin anzusehen.

"Natürlich nicht", meinte ich sachlich, "ich respektiere es auch, dass du in mich verliebt bist und an unserem guten Verhältnis ändert das nichts, aber ich wünsche mir von dir, dass du es ebenso respektierst, dass ich nicht viel mehr von dir will. Ich bin ein alter Mann, du hast noch viel mehr vor dir als ich." Ernst sah ich meiner jüngeren Kollegin in die Augen. Ich ließ es zu, dass sie meine Hand hielt. Ein wenig zittrig ließ ich auch meine andere auf ihrer Schulter liegen. Würde sie sich an mir rächen wollen? Sie wusste jetzt, wie sehr ich an Dreamdancer und den Pferden hänge und konnte mir alles zerstören.