"Ja?", hakte ich nach. Ich sah, dass es Jacqueline nicht gut ging. Allerdings wusste ich nicht, ob es wegen Jerome oder der Alkoholsache war. Wahrscheinlich traf Zweiteres zu. Und deshalb tat sie mir überhaupt nicht leid. Immerhin war sie selbst schuld. Wenn sie nichts aus der Sache lernen wollte, konnte ich ihr auch nicht helfen. Ich war also ziemlich machtlos, wie bei meiner Mutter.

"Nimmst du mir das wirklich übel, dass ich manchmal was trinke?" Ich hatte Probleme, meine Tränen zurückzuhalten. Sobald ich nur ein bisschen Alkohol im Blut habe, werde ich immer so sentimental.

(Bin essen.)

"So kann man das nicht sagen, aber wenn du schon so fragst, ja", setzte ich an, wobei ich ihre innere Unruhe komplett überging. Wahrscheinlich war ihr auch der Likör schon ein wenig zu Kopf gestiegen. "Alkohol ist schädlich, ungesund und verboten. Dritteres zwar nur für Minderjährige, aber das sicherlich nicht umsonst. Du runierst damit aber nicht nur deine Leber oder deine Gehirnzellen, sondern zerstörst so nebenbei auch zwischenmenschliche Beziehungen. Ohne dieser ganzen Alkohol-Geschichte hättest du mich zum Beispiel nie anlügen müssen, um nur eine Sache zu erwähnen."

"Wieso denn anlügen?", fragte ich entsetzt, "Wann habe ich dich denn angelogen? Ich trink doch wirklich nicht viel."

"Wie oft willst du mir das noch sagen?", gab ich hart zurück. "Muss ich wirklich noch einmal von vorne beginnen? Alkohol bleibt Alkohol."

"Aber du isst oder trinkst ja sicher auch manchmal was Ungesundes", meinte ich.

"Aber nichts Verbotenes", gab ich kurz angebunden zurück. So langsam reichte es mir und ich hatte keine Lust mehr auf lange Ausführungen. Dabei würde mir dazu noch eine Menge einfallen.

"Warum gönnst du es mir denn nicht?", fragte ich leise nach.

"So wie Alkohol stinkt, kann es doch gar nicht gut schmecken. Außerdem: Wo ist bitte der Unterschied zwischen einem normalen Fruchtsaft und einem mit Alkohol? Vom Alkohol schmeckst du da ja gar nichts, aber die Folgen musst du doch tragen. Ich nehm mal an, dass du mindestens mal Kopfschmerzen bekommst. Ist das so schön? Was reizt dich eigentlich bitte daran? Weil's verboten ist oder weil du vor Jerome cool dastehen willst?" Ich regte mich langsam wieder auf und fragte mich, wrum ich diese Diskussion überhaupt führte und nicht gleich zum Direktor ging. Der könnte mehr macht auf Jacqueline ausüben und würde damit vielleicht eher was erreichen als ich. Ich konnte ja noch so viel erklären, sie wollte es sowieso nicht verstehen.

"Das ist doch nicht dein Problem, was mir schmeckt oder nicht", erklärte ich, "und man schmeckt den Alkohol doch wohl. Hast du das von eben etwa schon mal probiert?"

"Es ist dann unter anderem mein Problem, wenn du dir damit schadest. Natürlich könnte ich wegschauen, aber das ist nicht meine Art. Und nein, ich hab so etwas noch nicht getrunken und werde es auch nie tun. Doch es ist allgemein bekannt. Das ist ja das Gefährliche dabei: Man schmeckt nichts davon und trinkt mehr, bis es schließlich zu viel wird und man zusammenbricht. Ich bin überzeugt davon, du würdest es nicht merken, wenn ich dir das gleiche ohne Alkohol hinstelle." Ich beherrschte mich und versuchte Ruhe zu bewahren. Ob ich ihr mit dem Direktor drohen sollte?

"Ich schade mir doch nicht", meinte ich, "die paar mal, wo ich was Alkoholisches trinke und nur das bisschen."

"Wenn du gerne noch mehr Argumente hören willst, gerne. Aus wenig und ein paar Mal wieder immer mehr und öfter. Und wenn du mir mal zuhören würdest, wüsstest du, dass ich heute schon mindestens dreimal gesagt habe, dass Alkohol Alkohol bleibt. Ich finde es sehr traurig, dass du meine gut gemeinte Hilfe so ausschlägst. Du verstehst die Wichtigkeit der ganzen Sachen nicht, leider ..." Ich seufzte.

"Ich verstehe es wohl wirklich nicht." Traurig schüttelte ich den Kopf.

"Vielleicht sollte dir das dann mal Herr Meier erklären." Herausfordernd sah ich sie an. "Vielleicht verstehst du dann, dass man auch ohne Alkohol überleben kann."

Ich zuckte zusammen. "Aber auch mit", meinte ich verzweifelt.

"Lassen wir das, es bringt überhaupt nichts. Du redest schon so, als wärst du wirklich abhängig. Also: Du hast nicht vor, nie wieder Alkohol zu trinken?" Abweisend sah ich sie an. Sie zerfloss mittlerweile schon in ihrem Selbstmitlied, das konnte ich so was von nicht ab.

"Im Ernst, wer macht das schon? Bis auf wenige Ausnahmen", meinte ich.

"Besser wär's, wenn das nicht nur Ausnahmen wären. Ich meine aber, kein Alkohol bis du 16 bist."

Ich begriff nicht, warum Mandy so spießig ist. "Nur weil es das Gesetz sagt?", fragte ich.

"Nicht nur, aber das habe ich vorher schon lange genug ausgeführt", entgegnete ich und stand ruckartig auf. "Hast du noch etwas zu sagen? Sonst fahre ich mal zurück zum Internat." Ich griff nach meiner Einkaufstüte.

"Du bist ja doch zu stur", murmelte ich.

"Ich bin zu stur, ja klar", entgegnete ich genervt. Dann fügte ich kühl hinzu: "Kommst du gleich direkt mit zu Herrn Meier oder soll ich erst mal mit ihm alleine sprechen?"

"Ich komme mit!", meinte ich hoffnungsvoll.

"Na hoffentlich nimmt er dir deine angebliche Reue nicht ab, falls du die vorspielen möchtest", meinte ich noch. Dann verließen wir das "Golden Dreams" und peilten die Bushaltestelle an. Der nächste Bus kam zum Glück in fünf Minuten, sodass wir nicht allzu lange warten mussten. Es war noch immer ziemlich kalt und die Sonne blinzelte auch nur leicht zwischen den Wolken hervor.