(Die kommt noch, die Angst...)

"Die mit dir am Tisch saß?", fragte die Kellnerin erstaunt, "mit dem jungen Mann daneben? Nein, das wusste ich nicht, woher auch? Ich hab die das erste Mal hier gesehen. Schüler kommen zu uns eher selten. Und der Mann ist doch sicher schon erwachsen, oder? Der hat bestellt."

"Ja, genau die, Jacqueline", antwortete ich und sah sie direkt an. "Sie hätten ja mal wegen des Alters nachfragen können. Jacqueline sieht nicht älter aus, als sie tatsächlich ist. Immerhin wussten sie genau, dass das Getränk für sie bestimmt war."

"Also, hör mal!", meinte die Kellnerin, "ich dachte mir, wenn da ein Erwachsener dabei ist, der wird ja wissen, wie alt die kleine ist."

"So erwachsen ist der nun auch wieder nicht", entgegnete ich und dachte mir meinen Teil dazu. "Außerdem dürfen sie ihr dann trotzdem nichts Alkoholisches geben. Immerhin haben sie es ihr hingestelt." Ich war schon ein wenig erstaunt, dass die Kellnerin so uneinsichtig war. Wahrscheinlich wollte sie aber nur ihren Kopf retten. Eigentlich hatte ich nicht vor, ihr Schwierigkeiten zu bereiten, ich wollte nur für Klarheit sorgen. Dass Jacqueline anscheinend heute zum ersten Mal hier war, beruhigte mich übrigens nicht im Geringsten. Ich war mir sicher, dass sie vor und wegen Jerome schon öfter solche Drinks bestellt hatte. Wenn nicht hier, dann eben anderswo.

"Der sieht doch aus wie mindestens 21", meinte die Kellnerin, "und wie gesagt, ich wusste nicht, dass die kleine erst 15 ist."

"Geistig ist er jedenfalls nicht reifer als Jacqueline", meinte ich nur. "Vielleicht sollten sie das nächste Mal eher mal nachfragen. Besser zu viel gefragt, als plötzlich die Polizei vor der Tür zu haben." Ich hoffte, dass ich damit wenigstens etwas erreichen konnte.

"Ja." Die Kellnerin nickte etwas desinteressiert.

"Seien sie lieber mal froh, dass ich denen keinen Hinweis gebe", beendete ich mein Gespräch mit ihr. "Schönen Tag noch." Damit drehte ich mich um. Dummerweise hatte ich meine Einkaufstüte am Tisch liegen gelassen, weshalb ich da noch einmal hin musste. Eigentlich hatte ich keine große Lust darauf, den beiden Turteltauben noch einmal zu begegnen.

"Danke, dir auch", sagte die Kellnerin nur freundlich.

Als Mandy auf uns zukam, lösten wir uns etwas voneinander. "Hi", grüßte Jerome, als wäre nichts gewesen. Ich bewunderte ihn.

Ich hatte mich etwas beruhigt. Deshalb setzte ich mich doch wieder mit an den Tisch, um die Diskussion fortzuführen. "Wir waren bei den Fehlern", stellte ich sachlich fest. "Ja, ich mache auch welche. Aber im Gegensatz zu Jacqueline bemühe ich mich danach, diese nicht noch einmal zu begehen. Ich verstehe ja, dass du als ihr Freund Partei für sie ergreifst, aber verstehen kann ich deine Einstellung nicht. Genauso wenig wie die von Jacqueline." Ich sah sie an und sagte offen heraus: "Ich hatte also Recht damit, als ich dir damals in Sachen Alkohol nicht glaubte. Und komm jetzt bitte nicht damit, dass das heute wieder das erste Mal seit damals ist."

Auch ich hatte mich beruhigt. Ich setzte mich aufrecht hin und meinte: "Lieg ich etwa im Krankenhaus?" Jerome ergriff meine Hand und drückte sie.

"Ich wiederhole mich gerne: Alkohol bleibt Alkohol. Und da ist die Menge nicht entscheidend", antwortete ich fast schon freundlich. Innerlich begann ich mich allerdings schon wieder langsam aufzuregen. Warum wollten die beiden das einfach nicht verstehen? "Im Übrigens hast du mir nicht versprochen, nicht wieder im Krankenhaus zu landen, sondern keinen Alkohol mehr anzurühren", fiel mir glücklicherweise außerdem ein.

"Das habe ich nicht so verstanden", sagte ich fast entschuldigend. Nun schwieg Jerome.

"Du willst es einfach nicht verstehen", seufzte ich entmutigt. So langsam fragte ich mich, ob ich den Vorfall im Internat melden ssollte. Ich müsste es auf jeden Fall tun, sagte mir mein Kopf. Dafür sprach auch, dass Jacqueline einfach gar nichts dazu lernte. Aber was würde passieren, wenn Herr Meier davon erfuhr? Beim ersten Mal hatte er anscheinend keine Strafe ausgesprochen, jedenfalls sah Jacqueline das so. Wenn sie aber noch einmal ohne Bestrafung davonkommen wollte, müsste de Direktor schon beide Augen fest zudrücken. Das würde er wohl nicht machen. Ich grübelte ein bisschen vor mich hin.

"Ich verstehe es wirklich nicht", meinte ich, "ich habe aus dem Vorfall vor Weihnachten gelernt und ich bin sicher nicht die einzige 15-jährige, die mal was trinkt." Jerome stand plötzlich auf. "Macht's gut, ihr zwei", meinte er kühl, "ich bin mal weg. Tschüss." Ich verstand die Welt nicht mehr, aber Jerome ging.

"Was sehr traurig ist", fügte ich leise zu Jacquelines Satz hinzu, bevor Jerome sich verabschiedete. Ich fand sowieso, dass es besser so war. Vielleicht würde Jacqueline ohne ihn wieder einen klareren Kopf bekommen. "Vergiss nicht unsere Getränke noch zu zahlen", warf ich ihm noch frech hinterher. Es war schließlich seine Idee gewesen, uns einzuladen. "Und schönen Tag noch." "Tollen Abgnag hat dein Freund da gemacht", murmelte ich noch.

"Klar, mach ich." Jerome lächelte nun wieder. "Oder glaubst du, ich lass meine Mädels hängen? Und danke, euch auch noch." Jerome ging zur Theke. Ich sah ihm gedankenverloren hinterher.

"Seine Mädels?" Ich zog die Augenbrauen hoch. Der Kerl war mir längst nicht mehr so sympathisch wie am Beginn. Und das lag bestimmt nicht nur an unserer Diskussion. "Also ich brauche den bestimmt nicht", versicherte ich Jacqueline. Die schien mir recht abweisend aus. Ob sie wohl so langsam verstand, warum es eigentlich ging?

"Er wollte ja nur nett sein", meinte ich, "und es ist auch mein Freund." Ich kämpfte mit den Tränen. Jetzt war ich auch noch mit Mandy zerstritten. Und alles nur wegen so einer Kleinigkeit?

"Das ist wohl eher ein Macho", antwortete ich. "So einer, der jedes Mädel kriegt, wenn er es will. Aber es ist ja deine Sache. Ich wünsche dir jedenfalls noch viel Glück mit ihm." Ihr Freund ging mich nun wirklich nichts an, im Gegensatz zur anderen Geschichte. Allerdings wollte ich sie trotzdem mal gewarnt haben. Meine Menschenkenntnis war nicht die schlechteste, das wusste Jacqueline wahrscheinlich auch.

"Und mich will er eben", sagte ich schon etwas glücklicher. Trotzdem wollte ich mit Mandy keinen Streit, auch wenn sie die Sache niemanden erzählen würde.

(Woher willst du das wissen und was hat das mit Streiten oder Nichtstreiten zu tun?)

Neben ein paar anderen, dachte ich im Stillen. Doch ich wollte ihn ihr nicht schlecht reden. Jeder sollte sein eigenes Glück finden, außerdem wollte sie ja sowieso nichts hören. Dann käme wieder nur so was wie, dass ich eifersüchtig wäre oder ihn ihr ausspannen wollte. Darauf konnte ich gerne verzichten. "Er hätte dir ja wenigstens noch sagen können, warum er dich einfach so sitzen lässt", stellte ich abschließend noch fest. "Mitten in einem Gespräch." Ich wusste schon gar nicht mehr, warum ich ihn am Anfang für einen Gentleman gehalten hatte.

(Naja, sie meint eben, selbst wenn du die Sache auf sich beruhen lässt, wäre sie unglücklich.)

"Stimmt." Ich nickte. "Aber ich brauch ihn ja nur fragen oder ihm eine SMS schreiben, wenn ich es wissen will, oder?"

"Natürlich", sagte ich in einem seltsamen Tonfall. Es war sowieso hoffnungslos. Liebe machte nun einmal blind und taub. "Wollen wir dann auch mal aufbrechen?", fragte ich.

"Ich wollt dir noch was sagen", fing ich vorsichtig mit tränenerstickter Stimme an.