"Was war das bitte für eine Reitlehrerin, die dir nicht mal zeigt, wie man lobt?", fragte ich verwundert. "Meine Meinung zum Thema Leckerlis kennst du nun ja schon zur Genüge, aber nur mal so als Denkanstoß von wegen genug Futter: Du isst doch auch gerne einen Nachtisch oder zwischendurch Schokolade, usw."

"Das sagt Samuel auch immer", konnte ich nun doch lächeln, "mit dem Nachtisch." Ernst fügte ich aber hinzu: "Und wie lobt man, wenn man keine Leckerlis gibt?"

"Das weiß dein Samuel bestimmt auch", antwortete ich mit einem Lächeln. "Aber hast du wirklich noch nie von jemanden erzählt bekommen, welche Möglichkeiten für Lob es gibt? Nun gut. Also ich mache das mit einer guten Mischung aus Stimme und Berührung. Ein langgezogenes, ruhiges 'brav' oder 'gut' kann ein Lob sein. So wie du das machst, geht das natürlich auch, aber eben fester. Oder du kraulst das Pferd einfach. Viele schwören auch darauf, dem Pferd den Hals abzuklopfen. Beim Reiten kann aber auch einfach mal eine Pause mit Zügel-aus-der-Hand-kauen-lassen angenehm sein, wenn sie davor etwas gut gemacht haben. Deswegen ist es immer wünschenswert, mit etwas Positivem abzuschließen."

Nachdenklich sah ich meine Reitlehrerin an. Dann blickte ich zu Julie, die mit gesenktem Kopf dösend neben mir stand. Als ich antwortete, blickte ich wieder Frau Chevalier an: "Wie fest denn? Ich will Julie nicht wehtun." Mir war die ganze Sache noch immer peinlich, aber bis jetzt hat Frau Chevalier noch nicht einmal geschimpft.

"Julie hält schon was aus, keine Sorge", erwiderte ich und wurde schon leicht ungeduldig. "Mach das einfach intuitiv, da gibt es kein Rezept für. Der Umgang mit Perden ist nicht wie Physik, wo du ein paar Formeln auswendig lernst und damit hat sich's. Wollen wir jetzt weitermachen? Deine Stute schläft schon ein."

"Wenn Sie noch Zeit für mich haben, klar", meinte ich eifrig. Im Hinterkopf war ich allerdings noch immer ein wenig mit dem richtigen Maß des Lobes beschäftigt. Frau Chevalier verstand das Problem scheinbar nicht. Konnte die eigentlich von Anfang an alles? Wahrscheinlich.

"Vielleicht machst du einfach noch einmal das Stangenviereck und danach ein paar Führübungen, um alles noch einmal zu wiederholen", schlug ich vor. "Weitere Sachen können wir dann gerne ein anderess Mal machen."

"Okay", nickte ich eifrig. Ich zupfte leicht am Strick. Als Julie die Ohren aufstellte, führte ich sie los. Sie schlich ein wenig, doch als ich "Schritt" sagte, schien sie aufzuhorchen und folgte mir brav zum Viereck. Konzentriert führte ich die Stute erst auf der linken Hand hindurch, wo sie einmal anstieß, ansonsten aber gut lief. Als wir durch waren, kraulte ich Julie sanft am Hals. "Frau Chevalier?", fragte ich schüchtern. Ich musste doch noch eine blöde Frage stellen, wo ich mir doch so unsicher war.

"Ja?", hakte ich nach.

"Ähm...", fing ich an zu stottern, "also...tut das sehr weh, wenn sie gegen die Stangen kommt?" Ich wagte mich nicht, meine Reitlehrerin anzusehen, jetzt hatte ich es mir wohl mit ihr verscherzt.

"Berechtigte Frage", erwiderte ich. "Aber ich denke, bei einfacher Stangenarbeit musst du die Pferdebeine nicht einpacken. Wenn Pferde einmal wo anstoßen, passen sie dafür das nächste Mal besser auf, um nicht den gleichen Fehler nochmals zu begehen. Das tut sicherlich auch nicht besonders weh, wenn sie leicht mit einem Bein touchieren."

Verwundert sah ich nun doch auf. Sie war mir nicht böse? Ich schwieg eine Zeit lang, dann meinte ich mal wieder nur: "Okay, danke." Ich wendete Julie nun auf die rechte Hand und führte sie durchs Viereck. Sie stieß tatsächlich nirgends an, blieb aber einmal stehen und schnupperte an der Stange vor ihr. Zumindest hatte ich das Gefühl, dass sie schnupperte, vielleicht bedeutete das Senken des Kopfes auch etwas anderes? Ich sah meine Reitlehrerin fragend an.

"Deine Julie findet die Stangen wohl ziemlich interessant", meinte ich lachend. "Dann solltest du das wirklich öfters mit ihr machen. Aber mach weiter, denn eigentlich solltet ihr zwischendrin keine Pause einlegen."

"Gut", meinte ich doch etwas verunsichert und führte Julie durch die letzte Ecke. Mit "Halt" hielt ich sie an. Julie reagierte und ich kraulte sie am Widerrist.

"Okay", kommentierte ich. "Ich räume jetzt die Stangen weg, du kannst ja mit Julie noch ein paar Führübungen machen."

Ich nickte und ließ Julie im Schritt antreten, was sie brav machte. Traben wollte sie heute scheinbar nicht mehr, ich musste sie zweimal dazu auffordern.

Ich begann damit, alle Cavalettis wieder wegzubringen. Als das erledgit war, sah ich Julie und Jacqueline noch eine Weile zu. "Willst du solche Sachen jetzt öfters machen?", erkundigte ich mich bei dem Mädchen.

Ich trabte ein Stück, parierte Julie dann in den Schritt durch und hielt strahlend neben Frau Chevalier. Ich kraulte Julie am Hals. Dann beantwortete ich Frau Chevaliers Frage: "Ja, es macht Spaß und wenn es auch dem Pferd gut tut, dann spricht doch nichts dagegen." Unsicher schluckte ich und fragte dann: "Würden Sie sich ein anderes Mal auch für uns Zeit nehmen?"

"Freut mich, dass du für euch beide etwas gefunden habt, was euch Spaß macht", meinte ich ehrlich erfreut. "Und natürlich zeige ich dir gerne noch andere Sachen oder kann dir auch so mal ein paar Tipps geben. Komm einfach zu mir, wenn dir danach ist."

"Danke", murmelte ich, "aber vorerst sind wir doch gut beschäftigt." Ich konzentrierte mich wieder auf Julie und ließ sie rückwärts gehen. Sie machte es brav mit und wurde nur ein wenig schief.

"Dafür nicht", erwiderte ich freundlich. "Mach das Rückwärtsrichten vielleicht noch einmal an der Bande, damit es zum Abschluss gerade wird."

Ich kraulte Julie lobend am Hals und nickte eifrig. "Okay." Ich ging zur Bande und wiederholte das Rückwärtsrichten, was gut klappte. Wieder kraulte ich Julie.

"Okay, ich denke, wir sollten nun aufhören", schlug ich vor. "Julie hat sich ja wirklich super geschlagen."

"Das stimmt", lächelte ich und streichelte Julie nochmal, "und vielen Dank für die Zeit, die Sie sich genommen haben."

"Nichts zu danken", wiederholte ich und lächelte Jacqueline aufmunternd zu. Ich ging nun zum Halleneingang und öffnete das Tor.