Hoffentlich stolperte sie dann nicht wieder, dachte ich noch bei mir, nickte aber und ging die Sache von neuem an. Es klappte auch besser, nur, dass Julie die Stangen zweimal berührte.

"Das war schon besser", kommentierte ich. "Wenn ihr das öfter übt, wird sie darin auch sicherer." Ich schob die Stangen nun wieder so zurecht, dass alle den gleichen Abstand ab. "Jetzt geht mal im Trab drüber."

Das hörte sich schwierig an, aber ich probierte es gerne aus. Ob die Übung fürs Pferd auch so spannend war wie für mich? Vielleicht traute ich mich später Frau Chevalier zu fragen, aber nur vielleicht. Jetzt führte ich Julie auf "Schritt" von den Stangen weg los. An der Mitte der kurzen Seite angekommen, wendete ich das Pferd und trabte es mit dem Stimmkommando an, was gut funktionierte. Vor den Stangen wurde Julie etwas langsamer, ich sagte noch einmal "Trab", woraufhin sie etwas sicherer schien und über die Stangen trabte. Dabei stieß sie auch nur einmal gegen die Stange. Ob das Anstoßen wohl wehtat? Beim Reiten hatte ich mir darüber eigentlich nie Gedanken gemacht, da war ich immer damit beschäftigt, oben zu bleiben. Nun parierte ich Julie in den Schritt durch und gleich darauf hielt ich sie an. Ich streichelte sie wieder am Hals.

"Okay. Willst du das noch einmal machen oder soll ich dir etwas Neues zeigen?", fragte ich nun das Mädchen.

"Lieber etwas Anderes, bitte", meinte ich schüchtern, "wenn es für Julie nicht zu verwirrend ist." Ichhatte meine Hand auf den Widerrist der Stute gelegt.

"Die packt das schon", erwiderte ich lachend. "Ich zeige dir einfach mal das Stangenviereck." Ich legte ein paar Stangen so auf, dass sie ein Viereck ergaben und ließ für den Eingang ein Loch frei. "So", meinte ich. "Julie soll da innen jetzt entlang gehen, möglichst ohne Anstoßen. Achte darauf, dass ihr schön in die Ecken reingeht. Nicht abkürzen."

Ich sah Frau Chevalier nachdenklich beim Aufbau der Stangen zu. Die Übung gefiel mir auf Anhieb besser, weil das Pferd nicht so leicht mit den Beinen anstößt, dachte ich zumindest. Für die Ecken fiel mir allerdings keine Strategie ein, also probieren. Ich ging los ins Stangenviereck. Und es klappte wirklich gut, außer in den Ecken. Bei der ersten Ecke stieß Julie an, vor der zweiten stellte ich sie ein wenig schräg, damit Julie die Ecke abschneiden konnte. Das sollte sie zwar nicht, aber so stieß sie wenigstens nicht an, also machte ich es bei der dritten Ecke genauso. Das würde jetzt sicher ein Donnerwetter geben, dachte ich noch, als Julie an die vierte Stange anstieß. Ich hielt Julie an und streichelte ihr über den Widerrist.

"Übung macht den Meister. Anscheinend hat Julie diese Sachen noch nie gemacht", kommentierte ich. "Probier's mal in die andere Richtung. Hast du schon herausgefunden, welche Seite Julie allgemein lieber mag?"

"Ich denke links", meinte ich etwas unsicher, "Kann aber auch sein, dass es einfach meine bessere Seite ist." Ich wendete Julie und machte das Viereck in die andere Richtung. Ich versuchte mich an einer Mischung zwischen Abkürzen und doch in die Ecke zu gehen und es klappte. Okay, einmal war die Ecke schon sehr schlecht ausgegangen, aber ich streichelte Julie wieder.

"Nun ja, du merkst ja auch bei Julie, wo sie sich zum Beispiel besser biegen lässt", meinte ich. "Das Stangenviereck habt ihr übrigens für den Anfang nicht schlecht gemacht. Das Ganze könnte man jetzt noch zu einem Labyrinth ausbauen, aber das muss heute noch nicht sein. Nur so als Vorschlag. Du kannst dir gerne selbst mal die Cavalettis rausholen und mit Julie üben. Vielleicht findet sich ja wer, der mit dir das gemeinsam machen möchte. Trag dich aber dann am besten am Schwarzen Brett ein, dass du mindestens eine Hälfte für dich alleine hast. Egal, ob Reithalle oder Platz."

"Ich würde schon sagen, dass es links einfacher ist", meinte ich unsicher. Sie war heute so nett zu mir, das machte mir ein wenig Angst. Ich rechnete jeden Moment damit, dass sie explodieren würde. "Danke für die Tipps", fügte ich noch hinzu und überlegte fieberhaft, ob ich es nutzen sollte, dass Frau Chevalier so freundlich war.

"So wie ich Julie kenne, denke ich auch, dass sie links besser drauf ist", bestätigte ich. "Mach jetzt einfach noch einmal die andere Seite, vielleicht klappt es jetzt schon besser."

Ohne weiter nachzudenken, konzentrierte ich mich wieder auf das Viereck. Und wirklich, Julie stieß nur an eine Stange. Ich streichelte sie vorsichtig und in diesem Moment fiel mir meine Frage auch wieder ein. Sollte ich oder sollte ich nicht?

"Sieht doch schon gut aus, oder?", kommentierte ich.

"Ja", meinte ich unsicher und sah meine Reitlehrerin an.

Ich nickte ihr aufmunternd zu. "Du darfst übrigens ruhig mehr an dich selbst glauben, das würde vieles einfacher machen", fügte ich hinzu.

Ich hatte schon überlegt, wie ich die Frage stellen sollte, da zuckte ich wegen Frau Chevaliers Bemerkung zusammen. "Einfacher?", fragte ich etwas erschrocken, "w..." Ich schluckte. "Was denn einfacher?", vollendete ich die Frage.

Diese Antwort verwunderte mich nun doch etwas. Ich hätte mir gedacht, dass man sich als schüchterner Mensch öfters wünschen würde, selbstbewusster zu sein. "Abgesehen davon, dass es im Umgang mit Pferden wichtig zu wissen ist, was man tut", setzte ich also zu einer Antwort an. "Das sage ich dir aber sowieso ständig. Desweiteren ist es allerdings sicherlich im Alltag auch bequemer, wenn man sich selbst nicht andauernd hinterfragen muss. Sei doch mal entspannter. Deine Meinung zählt genauso wie die von anderen. Dir kann doch egal sein, wie der Rest der Welt von dir denkt, da du es sowieso nie genau wissen kannst."

Ich war doch sehr verwundert über das Verhalten von Frau Chevalier. Ich wurde ein wenig rot und hätte mich am liebsten im Hallenboden vergraben, trotzdem zwang ich mich dazu, Frau Chevalier anzusehen, um mögliche Wutausbrüche so früh wie möglich zu bemerken. "Aber man kann doch nicht immer wissen, ob das richtig ist, was man tut", meinte ich vorsichtig, "zum Beispiel...also beim Loben..." Mist, ich war es doch falsch angegangen. Ich schluckte.

"Was ist schon richtig oder falsch?", begann ich und holte aus. "Wer bestimmt das? Gerade bei Pferden gibt es so viele verschiedene Sichtweisen zu bestimmten Themen und alle sind vielleicht auf die eine oder andere Art besser oder schlechter. Perfekt sind wir sowieso alle nicht. Du nicht, ich nicht und auch nicht Herr Meier. Wenn du gerade das Thema Loben ansprichst: Ich schwöre darauf, meinen Pferden möglichst keine Leckerlis zu füttern, um sie nicht zum Betteln zu erziehen. Ich bin damit bisher gut gefahren, auch wenn es für viele vielleicht eigenartig erscheinen mag. Andere wiederum geben ihren Schützlingen für jede Kleinigkeit, die sie richtig gemacht haben, etwas. Nun ja, kann doch wirklich sein, dass sie dadurch motivierter sind? Also, jeder sollte für sich entscheiden, welche Methoden er gut findet und welche nicht. Du wirst es nie allen recht machen können. Frag dich doch mal, ob eure ehemalige Reitlehrerin in allen meinen Überzeugungen übereingestimmt hätte? Ich denke nicht." Ich hielt inne, um Jacqueline die Gelegenheit zu geben, meinen Redeschwall zu verarbeiten.

"Ich habe keine Ahnung, wie man das macht, Loben", traute ich mich nun doch zu sagen. Hoffentlich würde Frau Chevalier jetzt nicht gleich losschimpfen. Unbewusst ging ich einen Schritt näher zu Julie, die brav neben mir stand.

Ich lachte leise auf. "Was?", rutschte es mir heraus. Meinen Vortrag wollte Jacqueline anscheinend unkommentiert lassen. "Das willst du mir jetzt aber nicht ernsthaft erzählen, oder? Ich meine, Leckerlis geben wäre schon mal eine Art des Lobens."

"Aber man kann doch nicht immer Leckerlis geben", meinte ich, "ich meine, erstens sind Sie dagegen und zweitens hat man ja nicht immer welche zur Hand." Meine Stimme zitterte ein wenig. Mir war die ganze Angelegenheit peinlich.

"Nur weil ich dagegen bin, heißt das noch lange nicht, dass es die ganze Welt nicht mehr machen darf", antwortete ich. "Okay gut, wenn von euch jemand sein Pflegepferd mit Leckereien zustopfen würde, würde ich sicherlich eingreifen, aber in Maßen ist es nicht schlimm. Allerdings gibt es ja noch andere Arten, seinen Vierbeiner zu loben. Mit der Stimme zum Beispiel oder - wie du es machst - den Pferdehals klopfen. Nur frage ich mich da, ob Julie das überhaupt spürt, so sanft wie du sie berührst. Sie ist ja wohl keine Fliege, bei der du Angst haben musst, dass du sie zerquetschst."

Ich zuckte wieder zusammen und meinte entschuldigend: "Ich weiß eben nicht, wie man das macht. Ich reite ja noch nicht so lange. Und Leckereien gebe ich nicht, weil ich mir denke, die Pferde bekommen sicher genug Futter."