"Feli, bald sind wir da." Meine Mutter drehte sich vom Beifahrersitz zu mir um. "Ich hoffe, du benimmst dich anständig und wir hören keine Klagen. Es war nicht leicht, mitten im Schuljahr einen Platz an dieser Schule zu bekommen. Sieh es als Ehre und verhalte dich danach." "Natürlich", antwortete ich leise und sah dann aus dem Fenster. Tatsächlich erkannte ich vor uns einen Gebäudekomplex, der wohl zum Reitinternat gehören musste. Mein Vater lenkte unseren Wagen auf einen freien Parkplatz vor dem Haupthaus und schaltete den Motor aus. "Wir sind da", meinte er überflüssigerweise. Ich nickte nur und stieg gemeinsam mit meinen Eltern aus. Ich nahm aus dem Kofferraum meine Tasche, mein Vater nahm mir den großen, sperrigen Koffer ab. Langsam und wortlos folgte ich meinen Eltern ins Gebäude. Meine Mutter schien anscheinend zu wissen, wo es langging, sodass sie zielsicher eine bestimmte Richtung ansteuerte. Sie warf mir noch einmal einen strengen Blick zu, bevor sie energisch an eine Tür klopfte. Verstohlen sah ich auf meine Uhr, wir waren überpünktlich, sogar fünf Minuten zu früh. Etwas nervös wartete ich darauf, was nun kommen würde.

Als wir eine Stimme vernahmen, öffnete meine Mutter energisch die Tür und trat ein. Mein Vater und ich folgten etwas langsamer. Zögernd sah ich mich im Raum um. Blitzartig prägte ich mir unser Gegenüber, augenscheinlich Rektor der Schule, genau ein. Der Mann hatte eine strenge Miene aufgesetzt und wirkte auf mich ziemlich ernst. Bevor noch irgendjemand etwas sagen konnte, setzte meine Mutter an: "Guten Tag! Ich bin Frau Leroy, das sind mein Mann und meine Tochter Felicitas. Sie sind Herr Meier, nehme ich an?" Höflich reichte sie dem Angesprochenen die Hand.

"Guten Tag", güßte ich leicht eingeschüchtert nach dem festen Händedruck zurück. Mein Vater ließ den Koffer neben der Tür stehen, wo ich auch meine Tasche fallen ließ. Meine Mutter übernahm daraufhin sofort wieder die Führung: "Aber gerne doch. Sehr freundlich von Ihnen." Wir drei nahmen Platz, ich in der Mitte meiner beiden Eltern. "Brauchen Sie noch irgendwelche Unterlagen von Felicitas?", fuhr meine Mutter sogleich weiter fort. So wie ich sie kannte, hatte sie bestimmt alles Nötige wie zum Beispiel Zeugnisse griffbereit in ihrer Handtasche dabei.

"Oh, danke", meinte ich nur und nahm den Ordner entgegen. Kurz verschaffte ich mir enen Überblick über alles, doch genau durchlesen würde ich mir das Ganze erst abends können. Zeit hatte ich jetzt dafür deinitiv nicht. Ich bemerkte, wie mir meine Mutter interessiert über die Schulter schaute. Wenigstens riss sie mir den Folder nicht aus der Hand, was sie sichtlich liebend gerne getan hätte. Aber wahrscheinlich kannte sie das Ding bereits ansatzweise, schließlich hatte sie sich bestimmt gut über die neue Schule informiert. Deshalb stellte sie momentan auch keine Fragen mehr an den Rektor, sondern schwieg ausnahmsweise einmal. Sehr höflich von ihr.

"Ja, das werde ich machen", antwortete ich und lächelte dabei schüchtern. "Wo können wir meine Sachen unterbringen?" Ich warf einen Blick au mein Gepäck. Dabei bemerkte ich, wie mein Vater auf seine Uhr schaute. Das war wieder einmal so typisch. Eigentlich hatten mir meine Eltern versprochen, den ganzen heutigen Tag für mich Zeit und alle anstehenden Termine abgesagt zu haben. Dem war augenscheinlich nicht so. "Entschuldigen Sie bitte", warf er da auch schon ein, "aber meine Frau und ich müssten uns dann auch bald verabschieden. Ich habe später noch einen wichtigen Termin, der sich leider nicht mehr anders arrangieren ließ."

"Also gut", übernahm nun wieder meine Mutter. "Ich hätte zwar noch liebend gerne alle Räumlichkeiten gesehen, aber das lässt sich bestimmt irgendwann nachholen." Natürlich, dachtee ich und wurde etwas traurig. Sicherlich in ganz absehbarer Zeit. Wir standen auf und meine Eltern reichten dem Rektor die Hand. Dann wandte sich meine Mutter mir zu: "Mach's gut, Feli. Du weißt, was wir von dir erwarten." Auch mein Vater verabschiedete sich kurz von mir. "Auf Wiedersehen", sagten beide einstimmig und ließen mich alleine mit meinem Gepäck stehen. Anscheinend hatten sie nicht einmal Zeit, mir mit meinem schweren Koffer zu helfen. Hilflos stand ich nun ganz alleine mit Herrn Meier im Raum und schwieg.

Ich sah zuerst zum Rektor, dann wieder zu meinen Gepäckstücken. "Ja, gerne", meinte ich schließlich, um eine feste Stimme bemüht. Zögernd griff ich nach dem Folder und steckte ihn in meine Tasche, die ich daraufhin langsam aufhob. Unschlüssig stand ich da. Den Koffer würde ich nicht auch noch schleppen können, außer wenn ich zweimal ginge.

Ich zuckte kurz zusammen, aber eigentlich war ich doch erleichtert, dass Herr Meier mir von sich aus helfen wollte. "Ja, bitte." Ich nickte und brachte dabei ein zaghaftes Lächeln zustande.

"Danke", sagte ich nur, packte meine Tasche fester und schlüpfte vor ihm zur Tür hinaus. Aufmerksam sah ich mich um.

Ich folgte dem Rektor zur Treppe. "Oh, okay", antwortete ich und überlegte, wie das werden würde. Als Einzelkind war ich es bisher gewohnt gewesen, viel alleine zu sein. Dass sich das auf dem Internat ändern würde, hätte ich mir fast denken können. Hoentlich waren sie nett und ich konnte mich mit ihnen anfreunden. "Gehen die beiden auch in meine Klasse?"

Ich warf kurz einen Blick in den gemütlich eingerichteten Raum. "Hallo!", grüßte ich schüchtern in die Runde. Ein paar Mädchen saßen hier und sahen mich neugierig an. Schnell trat ich einen Schritt zurück, um diesen zu entgehen. Es war mir peinlich, so mitten im Schuljahr aufzutauchen. Die dachten sicher sonst was von mir.

Wieder ging ich neben Herrn Meier her. Diesmal erreichten wir mein zuküntiges Zimmer. Die Nummer 8, das prägte ich mir gut ein. Interessiert sah ich mich in den schlicht eingerichteten Raum um. Ich steuerte das einzig unbezogene Bett zu, das dann ja nur meins sein konnte. Darauf stellte ich meine Tasche ab und drehte mich zum Rektor um. Ich antwortete ihm: "Neben dem Bett. Danke fürs Tragen."