Blitzartig überlegte ich mir, was ich darauf antworten sollte. Nach einer kurzen Überlegungsphase erwiderte ich schließlich: "Ich lasse das lieber für heute. Ich möchte Oda nicht gleich am ersten Tag mit mir überfordern. Außerdem bin ich selbst von der langen Reise etwas müde und ich würde vielleicht nicht hundertprozentig konzentriert sein." Ob diese Entscheidung für Hernn Meier akzeptabel war? Ich hoffte es inständig. Bei meiner Putzaktion fuhr ich nun damit fort, Augen und Nüstern ganz vorsichtig mit einem Schwamm zu säubern. Als das erledigt war, legte ich der Stute das Halfter wieder richtig an. Sanft kraulte ich sie am Hals, denn sie war wirklich brav. Sie drehte den Kopf zu mir und blies mir in meine Haare. Selig lächelte ich. Ich dachte, dass es nicht nur für mich Liebe auf den ersten Blick war. Fast vergaß ich darüber, dass Hufe, Mähne und Schweif noch auf seine Reinigung warteten.

Nach einer kurzen Weile machte ich dann weiter. Ich wollte den Rektor auch nicht unnötig aufhalten. Wenigstens war er mir nicht böse, dass ich heute nicht mehr reiten wollte. Ob ich morgen schon eine Reitstunde hatte? Ich schnappte mir den Hufauskratzer und wollte beim rechten Vorderbein anfangen. Mit meiner linken Hand fuhr ich dem Bein entlang nach unten. Auf Höhe des Fesselkopfes sagte ich "Huf" und hob diesen an. Zum Glück machte Oda brav mit, sodass ich gleich die Strahlfurchen ordentlich auskratzen konnte und die Weiße Linie kontrollierte. Nach dem Kommando "Ab" stellte ich den Huf wieder ab und ging nun zum linken Vorderbein über, wo ich ähnlich vorging. Wieder hob Oda das Bein brav an und wartete geduldig ab, bis sie es wieder absetzen durfte. Auch bei den Hinterbeinen verlief alles reibungslos ab, sodass ich die Stute wieder kurz kraulte.

"Meine Eltern haben mich mit dem Auto hergebracht", fing ich knapp an zu erzählen. "Von Lille bis hierher ist das ziemlich anstrengend, da es sehr weit ist." Ich begann nun, mich mit Odas Langhaar zu beschäftigen. Aus der Mähne entfernte ich noch ein paar verfangene Matschklumpen und ging teils mit der Hand, teils mit der Wurzelbürste durch die Haare.

Ich nickte nur und ging nun zu Odas Schweif über. Ich verlas ihn, indem ich mit der einen Hand das ganze Bündel Haare festhielt und mit der anderen die Strähnen vorsichtig voneinander trennte. Diese Prozedur dauerte einige Zeit, dennoch ging ich gründlich vor.

Als die Schweifhaare schön fielen, strich ich Oda nur noch einmal kurz über das Fell, um eventuell letzte Staubreste wegzumachen. Dann sortierte ich alle Putzutensilien fein säuberlich in den Putzkasten und sah zum Rektor hinüber. "Ich bin fertig", stellte ich überflüssigerweise fest.

"Ja, in Ordnung", bestätigte ich. irgendwie erinnerte mich Herr Meier an eine Mischung meiner Eltern: ruhig wie mein Vater und streng wie meine Mutter. Schnell schob ich den Gedanken beiseite und kümmerte mich lieber um meine Aufgabe. Ich stellte den Putzkasten auf seinen Platz in der Sattelkammer hin und kam anschließend zu Oda zurück. Ich band die Stute los und sie folgte mir gehorsam zur Weide. "Bis bald", murmelte ich ihr leise zu, als ich sie auf der Weide entließ. Ordnungsgemäß verschloss ich das Tor wieder hinter mir und warf noch einen kurzen Blick zu Oda hin.

Nun kehrte ich zum Putzplatz zurück und sah mich nach einem Besen um. Ich fand ihn in einer Ecke und kehrte Matsch, Staub und Haare weg. Danach stellte ich alles wieder zurück an Ort und Stelle. Ob Herr Meier noch etwas von mir wollte? Oder wie ging es jetzt weiter?

"Ja, gerne", antwortete ich erfreut. "Kann man die Reithallen und -plätze jederzeit nutzen?"

Ich folgte Herrn Meier zur Reithalle. Dort durfte ich einen Blick hineinwerfen, sie war aber leer. Es gab also gerade keinen Reitunterricht. Schade, sonst hätte ich vielleicht meine zukünftige Reitlehrerin sehen können. Aber die würde ich wohl noch früh genug kennen lernen. Ob sie guten Unterricht gab?

Sogar einen eigenen Springplatz gab es? Die Anlage war doch größer, als sie mir am Anfang erchienen war. Alles schien mir aber sehr gepflegt zu sein, was einen guten Eindruck auf mich machte. Als die Führung zu Ende war, bedankte ich mich für die Zeit, die der Rektor für mich genommen hatte.

"Okay, danke", antwortete ich erfreut. "Ich werde jetzt meinen Koffer auspacken gehen."

"Danke, Ihnen auch", verabschiedete ich mich und ging zurück zum Internatsgebäude.