Nach einem ausgiebigem Abendessen verließ ich das Haupthaus, um noch einmal in den Stall zu gehen. Wie jeden Abend wollte ich bei den Pferden vorbeisehen, ob alles in Ordnung war. Gut gelaunt betrat ich die Stallgasse und guckte mich um. Bei dem einen oder anderen Pferd blieb ich etwas länger stehen, etwa bei Nikita oder Julie. Bei Goldenland traf ich Michael an. "Nanu? Was machst du denn hier?", fragte ich überrascht. Einerseits deshalb, weil der Chef sich nach dem Abendessen meistens ins Büro verzog, um noch etwas zu erledigen. Andererseits erstaunte es mich, wenn er denn schon mal im Stall war, warum er dann bei Goldenland stand und nicht bei seiner eigenen Stute. "Ist dir die Büroarbeit ausgegangen?", fügte ich fröhlich hinzu.

Ach ja, Spaß war unerwünscht. Warum lernte ich das nie? "Ich bin jeden Abend hier und guck nach den Pferden", antwortete ich ihm, anscheinend hatte er das noch nie bemerkt. Nun ja, normalerweise war er abends nicht im Stall zu finden. "Stimmt etwas mit Goldenland nicht?", erkundigte ich mich daraufhin. Es musste einen Grund haben, warum er ausgerechnet bei dem Pony stand.

"Nicht, dass ich wüsste", erwiderte ich. "Ich frage ja nur, weil du bei ihm schon etwas länger stehst. Gab's etwa schon wieder Ärger mit Nina?" Ich wagte einfach mal die Flucht nach vorne. In letzter Zeit hatte ich zwar von Nina eigentlich nichts Negatives gehört, aber bei ihr und Michael wusste man sowieso nie.

Er wollte also nicht mit mir reden. Auch gut, man kannte das ja schon von ihm. "Nicht mehr als sonst", antwortete ich schulterzuckend. Ich musste ihm ja nicht unbedingt sofort auf die Nase binden, was mir in letzter Zeit aufgefallen war. Nämlich, dass Nina recht selten bei ihrem Pony zu finden war. Vielleicht dachte sie ja, dass fiel nicht auf, aber ich hatte es wohl bemerkt. Allerdings machte sie in meinen Stunden jetzt wieder ordentlich mit, da konnte ich mich nicht großartig drüber beklagen.

Also doch. Und wahrscheinlich ging es um Goldenland. Oder Nina. Oder um beide. Es hörte sich jedenfalls ziemlich ernst und wichtig an. "Du weißt, ich habe immer Zeit", sagte ich also freundlich. "Wollen wir in mein Büro gehen? Oder meinst du, Golden würde gerne zuhören?" Ich lächelte.

Im Stillen fügte ich hinzu: "Und haben keine unerwünschte Zuhörer." Ich ließ es aber bleiben, es laut zu sagen, sondern nickte ihm nur zu. Wir schlugen den Gang zu meinem Büro ein, wo ich Michael einen Platz anbot. Ich schloss die Tür hinter mir und fragte: "Magst du etwas trinken? im Angebot habe ich Tee, Kakao oder Kaffee." Ich deutete auf die Multifunktionsmaschine, die in einer Ecke stand. Ich hatte sie zu Weihnachten von meinen Eltern geschenkt bekommen, seither stand sie hier und erfüllte ihre Dienste.

"Gerne", meinte ich und warf meine Maschine an. Zuerst gab es Tee für Michael, dann Kaffee für mich. Auf meinen Schreibtisch stellte ich auch noch Zucker hin. Als alles erledigt war, setzte auch ich mich. Ich schob ein paar herumliegende Zettel zur Seite, dann sah ich Michael an. "Also, was gibt's?", fragte ich geradeheraus.

"Was?" Ich nahm gerade einen Schluck Kaffee und hätte mich beinahe verschluckt. Ich hätte jetzt mit allem gerechnet, aber nicht damit. Aber nun ja, eigentlich so wirklich überraschend war es dann doch nicht. Nina liebte ihren Golden ja über alles. "Und nun willst du meine Meinung dazu hören. Sehe ich das richtig?", folgerte ich schließlich.

Ich überlegte. Selbst ich hatte hier keine schnelle Antwort parat. Bei Pfeffer und Jaline war ich mir sofort sicher gewesen, dass es das Richtige war. Nur, Nina hatte mich dann doch das eine oder andere Mal ziemlich enttäuscht. Außerdem hatte ich mich bei John und Heinz etwas umgehört, was den zwischen ihr und Michael so vorgefallen war, als ich noch nicht da war. So genau konnten mir die beiden auch nicht Auskunft geben, aber ein paar Dinge mehr wusste ich nun. "Nina liebt Golden und umgekehrt, ohne Zweifel", führte ich nach einer kurzen Stille aus. "Aber seien wir mal ehrlich. Ich halte sie nicht für genug verantwortungsbewusst, um sich ein Pferd anzuschaffen. Es ist ja doch einiges in letzter Zeit vorgefallen, dass mich nachdenklich werden lässt."

"Na die Geländegeschichte und die Springsache", erinnerte ich ihn kurz daran. Ich zögerte. "Wie stellt sie sich das überhaupt vor? Wie will sie es sich finanzieren? Bleibt sie hier auf Korsika?" Mir gingen da so einige Fragen durch den Kopf, bei denen ich mir vorstellen konnte, dass sich Nina darüber wenig Gedanken gemacht hatte.

"Dann sollten wir Nina doch am besten mal selbst fragen, wie sie sich das alles vorstellt", schlug ich vor. "Dann kann sie gleich mal zeigen, ob sie sich das alles gut überlegt hat."

"Schon okay", entgegnete ich. Irgendwie konnte ich seine Reaktion ja auch verstehen. Immerhin liebte er seine Pferde über alles. "Ich kann aber schon nachvollziehen, dass die Schüler nach vier gemeinsamen Jahren mit ihrem Pflegepferd daran denken, es zu kaufen. Sie verbringen jeden Tag mit ihrem Schützling, pflegen und hegen ihn, reiten ihn, erleben Hochs und Tiefs. Und plötzlich sollen sie dann einfach einen Schlussstrich ziehen?"