"Als wäre es so einfach", gab ich angeregt zurück. Immerhin wusste ich genau, wovon ich sprach. "Weißt du eigentlich, was du da verlangst? Du möchtest doch, dass die Schüler ihre Pferde liebevoll pflegen und alles für sie tun, damit es ihnen gut geht. Glaubst du wirklich, dass man das schafft, ohne eine Bindung zum Tier aufzubauen?"

"Was die Pferde betrifft, weiß ich das nur allzu gut", erwiderte ich. "Nur muss man nicht extra dem Glück im Wege stehen, wenn es sich vermeiden lässt. Du siehst ja, wie gut es mit Pfeffer und Jaline klappt. Das Pony hätte es kaum besser treffen können."

"Siehst du, Pfeffer hat auch getrauert, als Jaline weg war. Einem Pferd kannst du aber schlecht erklären, dass es mit Trennungen klarkommen muss, weil es ja nur ein Schulpferd ist", meinte ich ernsthaft. "Ich finde übrigens nicht, dass ein Verkauf ein so großes Risiko ist. Du hast - wie in Pfeffers Fall - das Pferd noch hier stehen und siehst jeden Tag, wie es ihm geht. Außerdem hast du Jaline das Pony doch nur unter dem Vorbehalt verkauft, es jederzeit zurücknehmen zu können, oder?" Daran glaubte ich mich zumindest zu erinnern, dass Jaline mir das mal erzählt hatte.

"Nun ja, alle Schüler können sich ja sowieso nicht ein Pferd leisten oder haben andere Pläne", fuhr ich eifrig fort. "Aber selbst das logistische Problem ließe sich lösen. Durch die Pferdeverkäufe kommt doch Geld rein, um sich etwas Neues anschaffen zu können. Die Rentner werden immerhin auch nicht abgeschoben, selbst wenn sie als Pflegepferd zu alt werden und nicht mehr im Schulbetrieb laufen sollen." Ich fand, dass wir gerade etwas vom Thema abkamen, aber man musste es ja direkt ausnützen, wenn Michael diskutieren wollte. So viel Gelegenheit bekam man dazu nicht.

(Ich glaube, zwischen Anna und Michael steht es mittlerweile ca. bei 20:1 - 1 wegen Ninas Springstunden-Schwänzerei)

"Man könnte ihr ja wenigstens die Chance geben, sich zu beweisen", schlug ich vor. Michael fand wohl, dass ein Themenwechsel angebracht war. "Du musst Goldenland ja nicht sofort verkaufen, es gäbe ja zum Beispiel auch die Möglichkeit einer Reitbeteiligung." Die Idee kam mir während unserer Diskussion. Damit müsste sich Nina erst mal zufrieden geben und man könnte sehen, wie es mit ihr und dem Pony funktionierte. Nicht, dass sie wieder beim nächsten Problem einfach nichts macht und niemanden um Hilfe bittet.

"War nur ein Vorschlag, du wolltest schließlich meinen Rat hören", entgegnete ich knapp. "Aber sag mal, warum hältst du eigentlich so wenig von Nina?" Ich fand es endlich mal an der Zeit, ihn persönlich zu fragen. Natürlich würde das jetzt eine sehr einseitige Sache werden, falls er mir überhaupt etwas verraten wollte, aber immerhin hatte ich mir auch schon andere Meinungen eingeholt und mir selbst ein Bild von Nina gemacht. Man musste ja nicht alles glauben, was einem die Leute erzählen.

"Das frage ja ich dich gerade", entgegnete ich, ohne auf seinen Dank einzugehen. "Ich glaube, du kannst jeden hier im Internat fragen. Jeder wird dir bestätigen, dass ihr nicht miteinander klar kommt. Ich habe von ein paar Vorfällen gehört, doch ehrlich gesagt möchte ich einmal von dir selbst hören, was genau los ist. Es muss doch einen Grund geben, warum die Situation zwischen euch so ist."

"Ich will hier niemand etwas unterstellen oder jemanden reinreiten", erwiderte ich diplomatisch. Heinz und John fänden es wohl nicht besonders toll, wenn ich ihren Namen in diesem Zusammenhang erwähnt hätte. Und mit "Ich habe aufgeschnappt, dass ..." wollte ich erst recht nicht kommen. Das klänge ja gerade so, als würde ich jedem Gerücht glauben schenken. "Ich wollte nur wissen, ob und wenn ja, welche Vorfälle es gab. Wenn du nicht darüber sprechen willst, kann ich das auch nicht ändern."

Ich zweifelte ja stark daran, dass es nur um solch banale Geschichten ging. Deswegen hätte Nina sicherlich nicht so offensichtlich Angst vor ihrem Rektor. "Ich glaube nicht, dass man jede Situation neu einstufen kann. Ich meine, du argumentierst ja bei Nina anders, als wenn zum Beispiel Marina ihr Pflegepferd kaufen würde. Da gehst du doch mit mehr Bedenken an die Sache ran, als wenn nie etwas vorgefallen wäre. Bei Jaline hatte ich beispielsweise überhaupt keine Bedenken, ihr Pfeffer zu geben, aber bei Nina mache ich mir eben mehr Gedanken zu. Trotzdem denke ich, dass jeder eine zweite Chance verdient hat, das auf jeden Fall", erklärte ich energisch meinen Standpunkt. "Und ja, ich habe ebenfalls das eine oder andere Problem mit meinen Schülern. Allerdings scheint zwischen euch beiden ja mehr vorgefallen zu sein. Da geht es sicherlich nicht nur um ein vergessenes Physikheft. Ich erinnere mich an die Situation im Januar. Nina kam total verschüchtert zur Tür herein, traute sich kaum etwas zu sagen und schließlich hast du sie angebrüllt. Das wäre ohne Vorgeschichte meiner Meinung nach anders gelaufen."

Es musste wohl tatsächlich mehr vorgefallen sein, umsonst redete sich Michael nicht so in Rage. Eigentlich kannte man ihn ja eher als ruhigen Menschen, der nachdachte, bevor er etwas sagte. "Ohne mich wiederholen zu wollen, aber du bewertest Situationen sicherlich nicht unabhängig, wenn du jemanden ein Pferd verkaufen willst. Dann könntest du genauso gut wie Jaline einer wildfremden Person eins deiner Pferde geben. Kann ja sein, dass ich damals noch relativ neu war, aber da hast du mich auch nicht nach meiner Meinung gefragt. Jetzt bei Nina überlegst du anscheinend schon etwas genauer, eben gerade wegen der Dinge, die vorgefallen sind. Das würde wohl jeder vernünftige Mensch so machen, sonst wäre das ja fatal. Und wenn du jeden schüchternen Schüler sofort anbrüllst, dann würdest du bald keine Stimme mehr haben. Abgesehen davon, dass es sie nur noch mehr einschüchtert. Oder hat es dir jemals schon etwas gebracht, wenn du Nina angeschrien hast?", setzte ich Michaels Redefluss entgegen.

"Also als ich daneben war, hattest du mit deiner Brüllerei jedenfalls keinen großen Erfolg. Es geht dabei ja auch gar nicht um die Antworten, sondern vielmehr um Vertrauen und ein gutes Verhältnis. Jemand, der schreit, macht für mich übrigens nicht den Eindruck, als wäre er geduldig. Ganz im Gegenteil. Sieht man doch an Nina", antwortete ich offen. Ich nahm es ihm nicht übel, dass er mich als keine große Hilfe bezeichnete, dennoch wollte ich eines klar stellen: "Da wären wir wieder beim Thema, jede Situation unabhängig bewerten. Als Neue kannte ich natürlich keine Einsicht in interne Angelegenheiten. Aber ich traue es mir schon zu, eine Reitschülerin nach einem Monat soweit zu beurteilen, dass ich sagen kann, ob sie ein Pferd gut behandelt, wie gut sie reiten kann und wie verantwortungsbewusst sie ist. Ich hätte dir ganz neutral sagen können, was ich von Jalien halte."

"Das mit Vertrauen und Kontrolle hatten wir doch schon einmal", stellte ich fest. "Du weißt, dass wir da grundverschiedene Meinungen zu haben. Aber Brüllen hat nichts mit Kontrolle zu. Jetzt reden wir ständig drumherum, aber ich weiß noch immer nicht, was zwischen dir und Nina steht. Das war eigentich das Einzige, was ich wissen wollte. Wenn du stattdessen lieber über die Sinnhaftigkeit von Schreien diskutieren willst, nun ja. Und zu Zweiteren: Du kanntest mich wohl noch nicht lange genug, um über mich unabhängig urteilen zu können?" Ich konnte es nicht unterlassen, einen sarkastischen Tonfall einzuschlagen. "Dennoch", fuhr ich beschwichtigend fort, um einen Ausbruch Michaels entgegenzuwirken. "Ich kann es nachvollziehen, dass man jemanden nach einem Monat nicht vollstes Vertrauen entgegen bringt." Vor allem, wenn man Michael Meier hieß, fügte ich im Gedanken hinzu.

"Wie du meinst, auch wenn ich trotzdem nicht glaube, dass das alles ist, was es zu Nina zu sagen gibt. Und ich meine hier nicht vergessene Hausaufgaben oder Schülerstreiche", meinte ich. "Aber ich akzeptiere es natürlich, dass du mir darüber nichts erzählen willst. Ich würde übrigens nicht zu jemanden mit einem Problem kommen, der mich anbrüllt, nur weil ich unsicher bin oder nicht sofort weiß, wie ich anfangen soll. Soviel dazu."