Heute sollte ich also Michael eine Reitstunde geben. Ich war ja schon sehr gespannt, wie das laufen würde. Zuvor hatte ich noch ein paar Sachen in meinem Büro erledigt, sodass ich fast die Zeit übersehen hatte. Jedoch machte ich mich dann pünktlich auf dem Weg zur Reithalle, wo wir uns verabredet hatten. Dort angekommen wollte ich mich mit einem "Tür frei" vergewissern, ob ich eintreten durfte.

Ich betrat nach Michaels Bestätigung die Halle und begrüßte ihn gut gelaunt: "Hallo! Na, ihr arbeitet ja schon fleißig?" Ich stellte mich in die Reitbahnmitte und sah mir das Pferde-Reiter-Paar an. Ich hatte beschlossen, meinem Chef gegenüber genauso kritisch wie bei meinen Schülern zu sein. Sonst hätte eine Reitstunde sowieso nicht viel Sinn, fand ich.

"Dann mach ruhig mal weiter", entgegnete ich. "Dabei kannst du mir ja erzählen, ob du besondere Wünsche für die heutige Stunde hast. Gibt's spezielle Probleme zwischen Bersi und dir?" Ich ließ mir von Michaels ernster Miene nicht meine Laune verderben. Ich kannte ihn nun auch schon etwas länger, um zu wissen, dass sich das sowieso bald wieder ändern könnte. Wahrscheinlich fand er es eben ungewohnt, dass ich ihn diesmal rumkommandieren sollte. Es hatte schon ziemlich lange gedauert, bis er sich zu einer Reitstunde überhaupt durchringen konnte. Nun musste er es also durchstehen.

"Nun ja, es fällt nicht allen Pferden gleich leicht, sich zu biegen. Gerade Bersi als Freibergerin hat einen kurzen Rücken und dadurch nur wenig Platz zwischen Rippen und Hüfte, weshalb es ihr wahrscheinlich schwer fällt, mit dem inneren Hinterbein vorzutreten", erklärte ich. "Wir sollten erstmal an der Stellung arbeiten, die die Voraussetzung für die Biegung ist. Sie kann aber auch alleine gefodert werden, zum Beispiel beim Schenkenweichen oder in der Galopparbeit."

Ich beobachtete die beiden erst einmal nur und überlegte mir schon ein paar gezielte Übungen für später.

"Kennt Bersi Schenkelweichen? Dann solltest du vielleicht damit anfangen, bevor ihr Biegungen macht. Damit kannst du dein Pferd auch super lösen", meinte ich, da die Stute nicht besonders schön ging.

"Das würde ich so nicht sagen", entgegnete ich und setzte zu einer Erklärung an, warum ich diese Übung für sinnvoll halte. "Es macht nichts, wenn Bersi dabei noch nicht am Zügel geht oder sich gar zu entziehen versucht. Du sollst sie nicht herunterzwingen und lässt einfach die Hände stehen. Entscheidend ist, was die Hinterbeine machen. Durch das Kreuzen der Beine wird das Pferd gelöst. Die Hinterbeine müssen wirklich aktiv sein. Schleppt sich ein Pferd nur irgendwie durch die Übung, kannst du es nicht lösen. Die Übung kannst du auch mehrmals unterbrechen und anhalten, wenn Bersi aus der Spur gerät oder zu wenig oder zu stark seitwärts geht, und dann Vor- und Hinterhand wieder in die gewünschte Position bringen, bevor du weiterreitest. Nach dem Zurückführen auf den Hufschlag gibst du Bersi die Zügel hin. Selbst wenn sie sich während der Seitwärtsbewegung den Hilfen zu entziehen versuchte, wird sie sich nun strecken und den Hals tiefer fallen lassen. Hebt sie den Kopf wieder, fasst du die Zügel wieder nach, bis du Kontakt zum Maul hast und gibst sie erneut wieder länger, so weit wie sie sich streckt. Das Pferd lernt so allmählich, stets eine leichte Verbindung zur Hand beizubehalten."

"Siehst du, klappt doch ganz gut", meinte ich. "Macht das ruhig noch ein paar Mal, auch in die andere Richtung."

"Okay, jetzt geh noch einmal auf den Zirkel", forderte ich Michael auf. "Achte dabei darauf, dass sich Bersi schön biegt. Der äußere Schenkel ist zwar verwahrend, aber du solltest ihn trotzdem nicht vergessen. Der innere Schenkel erhält die Biegung, aber nicht Dauertreiiben. Leg ihn nur an, wenn Bersi die Biegung verliert."

"Beim nächsten Mal wechselst du nun aus dem Zirkel", kommentierte ich. "Achte darauf, Bersi nicht zu schnell umzustellen. Nutz die Pferdelänge, die ihr geradeaus geht, um sie auf die neue Stellung und Biegung vorzubereiten."

"Du musst sie von außen noch mehr begrenzen, damit sie dir nicht in die Ecken abhaut", sagte ich. "Aber ich denke, wir sollten jetzt mit dem Trab beginnen. Da kannst du auch nochmal ein paar Zirkel ausprobieren. Schenkelweichen im Trab kennt sie ja wahrscheinlich nicht."

"Das sah jetzt besser aus", kommentierte ich. "Geh jetzt auf die Ganze Bahn. Da kannst du dann auch ein paar Schritt-Trab-Übergänge einbauen."