"Dürfen tust du schon, aber es wäre mir sehr recht, wenn wir nochmal in Ruhe über die ganze Sache reden könnten, denn ich will ja, dass sich JEDE Schülerin wohl fühlt. Also, wenn du noch sprechen willst, setz dich ruhig hier auf die Bank hin. Aber überleg's dir. Ich bringe Goldenland raus und räume dann den Putzkasten weg", sagte ich und band das Dartmoor-Pony los.

Bevor ich Goldenland das Halfter abnahm, streichelte ich ihn. "Bist du mir noch böse?", fragte ich ihn, "Weil ich so geschrien habe. Aber manchen Schülern muss man es einfach etwas lauter sagen." Dann halfterte ich Goldenland ab und ging in den Stall zurück. Ob Nina wohl geblieben ist? Eher nicht, die wollte mich sowieso nur fertig machen.

Aber sie saß noch da. Aber vielleicht wollte sie sich nur noch ausruhen, bevor sie nach oben ging. Ich trug das Putzzeug weg, dann ging ich zur Bank hin. "Willst du noch mal sprechen oder lieber gehen?", fragte ich, "darf ich mich setzen?"

"Heißt, ich darf mich setzen?", fragte ich lächelnd. Au weia, ich hatte gelächelt! Scheiße, schnell schaute ich wieder normal drein.

"Ok." Ich setzte mich und die Bank knarzte. "Die ist wohl schon gleich alt wie ich", stellte ich fest. "Aber nun werden wir uns wohl mal aussprechen. Es ist mir wirklich ein großes Anliegen, dass sich alle auf Dreamdancer wohl fühlen. Denn ich denke mir, wenn man so wenig von der Familie hat wie als Internatsschüler, da sollte man doch zumindestens im Internat ein bisschen was an Familie vorfinden."

"Lass dir ruhig Zeit", sagte ich, als ich sah, wie Nina nervös den Stall rauf und runter sah, "wenn du Zeit brauchst, sag es ruhig. Ich kann in der Zwischenzeit auch weggehen, wenn du magst."

Ich folgte Ninas Blick und meinte: "Dein Kleiner freut sich aber, dass er draußen sein kann."

Wir sahen schweigend weiter aus dem Fenster. Goldenland war mittlerweile nicht mehr zu sehen. Ich wartete geduldig, schließlich war es an der Zeit, dass Nina mal was sagte, ich rede eh dauernd.

Aber Nina hatte wohl Angst davor, was zu sagen. Wieso nur? Die war doch normalerweise nicht schüchtern!

Ich rückte ein bisschen von Nina weg, schließlich war ich aus meiner alten Schule suspendiert worden, weil ich angeblich eine Schülerin angefasst hatte. So ein Blödsinn! Auf jeden Fall achtete ich seither sehr genau, dass ich einen Abstand hielt. Und nun hatte ich wieder eine Schülerin fertig gemacht? Das durfte ja wohl nicht wahr sein! Zur Sicherheit rückte ich noch weiter weg und wartete. Sollte ich nicht besser aufstehen und einfach gehen?

Oh Gott, plötzlich wurde es mir noch unbehaglicher. Wenn die nun erzählt, dass ich sie mobbe oder was auch immer, dann kann ich meinen Job vergessen. Alles was ich mir mit Mühe aufgebaut habe! Und wenn ich keinen Job mehr kriege, keine Pension und das alles noch ohne meine Familie... Mir wurde ganz anders. Was sollte ich nur machen? Meine harte Schale schien zu brechen und ich kämpfte gegen die aufkommede Traurigkeit.

Ich konnte einen Seufzer kaum unterdrücken, aber ich riss mich zusammen und meinte, möglichst meinen flehenden Ton unterdrückend: "Bitte sag was los ist, wegen Physik."

"Aber ich habe doch immer gefragt, ob ihr alles verstanden habt, warum hast du nichts gesagt?"

Ich war froh, dass das Gespräch im Gange war. "Und da machte dich mein Verhalten in Physik und wegen Goldenland ängstlich", schlussfolgerte ich. Ich machte eine kurze Pause. "Aber ich erwarte von meinen Schülerinnen nun mal, dass sie fragen, wenn sie es nicht verstanden haben. Und eine Gruppe ist nur so stark wie ihr schwächster Teil, ich meine damit, wenn jemand was fragt, sollen sich die anderen gefälligst nicht aufregen."

"Ist jetzt wieder alles in Ordnung?", fragte ich zur Vergewisserung und hoffte auf eine ehrliche Antwort.