Endlich! Es läutete die letzte Stunde für heute aus. Ich beugte mich zu Sam, gab ihm vor Erleichterung einen Kuss auf die Wange und fragte: "Was steht heute Nachmittag an?" Er erwiderte: "Ich muss heute in die Stadt. Die Musik ruft." Ich war ein wenig enttäuscht, gönnte Sam aber natürlich seinen Spaß und wünschte ihm diesen auch. Er gab mir noch einen Abschiedskuss, dann verließ er den Kunstraum schnellen Schrittes. Da stand ich nun und wusste nicht, was ich bis zum Abendessen noch machen sollte.

Als der Kunstunterricht zu Ende war, räumte ich meine Sachen ordentlich zusammen. Wie gestern hatten wir wieder viel Stoff gemacht und ich musste mich gut konzentrieren, um dem Tempo folgen zu können. Bei meiner alten Lehrerin durften wir viel mehr kreativ sein und selbst malen oder zeichen, Frau Seifert legte dagegen viel Wert auf die Theorie. Ich sah mich in der Klasse um. Die meisten waren schon gegangen, nur Jacqueline stand noch an ihrem Tisch. Es war für mich natürlich schwer, so mitten im Schuljahr und noch dazu in einer höheren Klasse Anschluss zu finden. Mit Leonie, die mit mir auf einem Zimmer war, wechselte ich ab und zu ein paar Worte, doch die hing auch lieber mit ihren anderen Freundinnen rum. Jetzt entschloss ich mich dazu, es mal bei Jacqueline zu versuchen. Zögernd trat ich näher an sie heran und sagte: "Hallo."

"Hi", entgegnete ich schüchtern. Ich war mir nicht sicher, was ich sonst sagen sollte. Hatte die Neue eine Frage zu Kunst? Würde mich nicht wundern, so viel Stoff wie wir immer machen.

Ich überlegte fieberhaft, was ich nun sagen sollte. Besonders gesprächig schien mir mein Gegenüber nicht zu sein. "Was hast du heute noch vor?", erkundigte ich mich schließlich bei Jacqueline und hoffte, dass sie vielleicht etwas mit mir zusammen machen würde.

"Ich weiß es noch nicht", entgegnete ich vorsichtig, "Sam musste auch weg. Ich werde wohl in den Stall gehen, denke ich. Du?"

"Wenn du nichts dagegen hast, würde ich gerne mitkommen", antwortete ich vorsichtig. Ich überlegte kurz. Welche Hausaufgaben hatten wir zu machen? Nur Französisch. Das war auch noch heute Abend schaffbar, also konnte ich ohne schlechtes Gewissen in den Stall gehen.

"Klar kannst du mitkommen", meinte ich erfreut. Ich war froh, nicht alleine gehen zu müssen. "Ich zieh mich nur noch vorher um und nehme Möhren mit."

"Okay, ich muss ja auch meine Sachen wegbringen. Reitest du heute noch?", antwortete ich und lächelte. Woher sie wohl die Möhren bekam? Konnte man sich die einfach aus der Küche holen? Ich schnappte meine Tasche und ging gemeinsam mit meiner Mitschülerin nach oben zu den Zimmern.

"Nein, reiten will ich heute nicht mehr", erklärte ich kurz. Wir gingen nach oben und ich verschwand in mein Zimmer, um mich schnell umzuziehen.

Ich ging ebenfalls in mein Zimmer und stellte meine Tasche neben meinem Schreibtisch ab. Danach zog ich mir Winterstieel und Jacke an und kehrte auf den Flur zurück. Dort wartete ich auf Jacqueline.

Ich hatte mir eine andere Jeans und eine Jacke angezogen. Schnell grif ich noch nach dem Sack mit den Möhren. Ich trat auf den Flur. "Okay, wollen wir?", fragte ich lächelnd.

Ich nickte und erkundigte mich neugierig: "Wo bekommst du denn die Möhren her?" Langsam stiegen wir die Treppe runter und verließen das Internatsgebäude.

"Aus Porto. Da gibt es genug Läden", lächelte ich, "Willst du eine für dein Pferd?" Mittlerweile wusste ich, dass man ungefähr so Freundschaften auf dem Reitinternat schloss.

"Und man darf den Pferden einfach so Leckerlis geben?", wollte ich mich vergewissern. Mittlerweile kamen wir im Stall an.

"Es gibt dazu keine fixe Regel", erklärte ich, "man darf sie nur nicht schädigen." Mann, die konnte einen löchern. War ich auch so gewesen, als ich neu war? Ich wusste nicht, ob ich mich in Felicitas' Anwesenheit zu Pfeffer traute, also erst mal zu Julie.

"Dann würde ich Oda auch gerne eine Möhre geben", meinte ich lächelnd. "Find ich voll nett von dir, dass du mir eine abgibst. Oda freut sich bestimmt auch, wenn ich ihr was mitbringe."

"Kein Ding", lächelte ich erfreut. Selten kam es vor, dass mich jemand nett findet. "Wollen wir dann auf den Putzplatz?", schlug ich vor.

"Ja, ist gut", meinte ich. Wir holten in der Sattelkammer Strick und Halfter für die Pferde, danach ging's ab zur Weide. "Du", fing ich an, "magst du mir vielleicht bei Gelegenheit die Stadt hier in der Nähe zeigen? Vor allem den Ort, wo man Möhren bekommt?" Ich lächelte etwas unsicher.

"Klar kann ich dir Porto zeigen", nickte ich und ging nach dem Anbinden wieder in die Sattelkammer, um das Putzzeug für Julie zu holen.

Oda ließ sich auf der Weide ohne Probleme einfangen. Die Möhre hatte ich gut in meiner Jackentasche versteckt, die bekam sie erst am Putzplatz. Während Oda die Möhre fröhlich mümmelte, holte ich den Putzkasten. Wieder bei der Stute angekommen holte ich den Striegel heraus und begann den gröbsten Dreck aus dem Fell zu entfernen. "Deine ist auch ein Fjordi, stimmt's? Wie heißt sie denn?", fing ich nun ein Gespräch an.

Ich fing ebenfalls mit der Arbeit an. "Ja, ein Fjordpferd", nickte ich, "ich bin auch schon einmal auf Oda geritten." Ich wusste nicht, warum ich das gesagt hatte. Sollte ich ihr alles erzählen?

"Und wie heißt deine Stute?", hakte ich nach, während ich weiterhin Odas Fell massierte. "Wirklich? Und wie fandest du sie beim Reiten?"

"Julie heißt sie", entgegnete ich, "Ach, ganz okay." Ich versuchte der Frage auszuweichen, indem ich fragte: "Und wie gefällt es dir bis jetzt auf Dreamdancer?"

"Hier ist's ganz schön und ich habe ja Oda", antwortete ich. "Ich komme mit ihr wirklich super zurecht. War's bei dir nicht so gut, als du sie geritten bist?" Ich wechselte nun auf die andere Seite meiner Stute, um auch dort das Fell zu bearbeiten.

"Ich weiß es aus den Reitstunden", nickte ich. Mich ärgerte es, dass mein Themenwechsel nicht funktioniert hatte. Aber andererseits war es vielleicht gut, Felicitas zu warnen. "Nicht so", entgegnete ich deshalb vorsichtig, "mit meiner hier komm ich besser klar."